Usus organorum & horum sonus. Anmerkungen zum Gebrauch der Kirchenorgeln um 1500

von Franz Körndle

Dieser Beitrag erscheint im Basler Jahrbuch für historische Musikpraxis 29, 2005 (2007)

Usus organorum & horum sonus. Anmerkungen zum Gebrauch der Kirchenorgeln um 1500

von Franz Körndle

Die Welt der spätmittelalterlichen Orgel muss bis heute als wenig erschlossen gelten. Von den einst reich vorhandenen Instrumenten sind im Lauf der Jahrhunderte fast alle verloren gegangen. Nur gelegentlich kommen überraschenderweise neue Informationen oder sogar Reste von Pfeifen zum Vorschein. Bis vor wenigen Jahren galt etwa die Orgel in der kleinen Kirche von Ostönnen (Nordrhein-Westfalen) als ein im Grunde barockes Instrument (Abb. 1 oben links), das Johann Patroclus Möller 1721/22 aus der Kirche Alt St. Thomae in Soest nach Ostönnen versetzt hat. Spätestens seit der von der Orgelbaufirma Paul Ott im Jahr 1963 durchgeführten Instandsetzung war bekannt, dass die Orgel Pfeifen enthält, die als wesentlich älterer Bestand zu gelten haben. Die jüngste Restaurierung in den Jahren 2000 bis 2003 erbrachte die Gewissheit. Große Teile des Instruments, die Windlade und 326 der erhaltenen Pfeifen stammen keineswegs aus dem 18. Jahrhundert, sondern müssen bereits vor 1500 gefertigt worden sein. Schon die Ornamente über und neben der Spielanlage weisen auf einen Bau aus der Spätgotik. Merkmale vieler Pfeifen lassen sich ebenfalls dieser Zeit zuordnen [1] , und schließlich entspricht die Machart der Windlade als Bohlenlade aus einem Holzblock, in den die Kanzellen hineingebohrt sind, den frühesten bekannten Bauweisen (Abb. 2 oben rechts). Dendrochronologische Untersuchungen an verschiedenen Teilen des Gehäuses und der Windlade erbrachten den Befund, dass die dazu verwendeten Bäume zu Beginn des 15. Jahrhunderts gefällt worden sein müssen. Selbst wenn man einräumt, dass Orgelbauer auch damals ihr Holz mehrere Jahre einlagerten, bevor sie es verbauten, dürfen wir mit hoher Wahrscheinlichkeit annehmen, dass wir es in Ostönnen mit einer Orgel zu tun haben, die bisher in größtem Umfang Substanz aus jener Zeit enthält. [2]

Usus organorum & horum sonus. Anmerkungen zum Gebrauch der Kirchenorgeln um 1500
Usus organorum & horum sonus. Anmerkungen zum Gebrauch der Kirchenorgeln um 1500
 

Das in Ostönnen immer noch vorhandene Material aus der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts ist in seiner Qualität, aber auch Quantität als sensationell anzusprechen. Der Erbauer muss ein Meister seines Faches gewesen sein. Das Metall für die Pfeifen ist aus einer Legierung gefertigt, bei der Blei mit Kupferzusätzen gehärtet ist. Darüber hinaus garantiert die außerordentliche Stärke der Wandungen eine überwältigende Stabilität und Langlebigkeit. Die Perfektion der Lötnähte zeigt, dass der Orgelbauer über eine reiche handwerkliche Erfahrung verfügt hat (Abb. 3).


Als diese Orgel hergestellt wurde, muss es also schon viele vergleichbare Instrumente gegeben haben. In den meisten Dom- und Stiftskirchen sowie in den Klöstern standen damals bereits Orgeln. An dem Instrument in Ostönnen lässt sich nun auch ein wenig zu seiner Geschichte ablesen. Ursprünglich als Blockwerk konzipiert, in dem ständig das volle Werk angespielt wurde, muss unsere Orgel um 1500 soweit umgestaltet worden sein, dass man seither einzelne Pfeifenreihen als Register heranziehen konnte, womit unterschiedliche Klangfarben, vor allem aber ein Laut und Leise möglich wurden. Damals ist auch der Tastatur-Umfang, der beim großen H begonnen hatte, bis zum großen F hinab erweitert worden; dabei kamen die vier Töne F, G, A und B hinzu. Die dafür nötigen Pfeifen konnten aus den tiefliegenden Pfeifenreihen (16'-Lage) des aufgelösten Blockwerks gewonnen werden, so dass die neu zusammengestellten Pfeifenreihen immer noch einen einheitlichen Bau aufweisen. Im Jahre 1586 reparierte ein Meister Bartholdus die Orgel. Vermutlich ergänzte er die kurze Oktave bis groß C und ersetzte außerdem Reihen aus dem alten Hintersatz durch Gedackt 8' und Trompete 8'. Für das Gedackt benützte Bartholdus ältere Prinzipalpfeifen, die er kürzte und mit Hüten versah.

Um die Kanzellen gegeneinander winddicht zu halten, waren sie vom Erbauer recht großzügig in weiten Abständen nebeneinander in die Bohlen gebohrt worden. Das ermöglichte beim Erweitern die Unterbringung zusätzlicher Kanzellen teilweise zwischen den bereits vorhandenen. Eine Reorganisation der Pfeifenaufstellung dürfte die Folge gewesen sein. Vermutlich musste daraufhin auch das Gehäuse erstmals neu konzipiert werden, um Platz für die großen Pfeifen zu schaffen. Eine grundlegende Untersuchung, die den Umgestaltungsprozess aufhellen könnte, steht noch aus. Daraus wären Aufschlüsse zu erwarten, wie die ursprüngliche Aufstellung der Pfeifen gewesen sein kann und wie man sich die unterschiedlichen Phasen des Erweiterns vorzustellen hat.

Ähnlich wie dem Ostönnener Instrument ist es wohl vielen Orgeln um 1500 ergangen. So wurde etwa im Jahr 1501 die Orgel in der Kölner Ratskapelle nicht nur renoviert, sondern auch erweitert:

Item meyster Dederich dem waelen de orgell yn unser Heren cappellen zu reformeren ind andere pyffen dar yn zu machen ouch de bellige renouerenn geguen. [3]

Die von Ingeborg Rücker 1940 publizierten Dokumente über den Orgelbau am Oberrhein um 1500 bestätigen die aus den Beobachtungen abgeleitete Vermutung. [4] Vielfach kam es eben nicht zu einem Neubau, sondern nur zu einem Um- und Erweiterungsbau. Die Maßnahmen waren aber schon wegen der teilweise an die Grundsubstanz gehenden Eingriffe ziemlich umfangreich, meist mussten ja die Gehäuse verändert und ganz neue Spielanlagen eingebaut werden. Wenn uns ein solches Verfahren heute unrentabel erscheint, sollten wir uns klarmachen, dass damals der Zeitfaktor unerheblich war, das Material aber kostbar. Vor allem zeigte man echten Respekt vor der Leistung der alten Meister und betrachtete die Veränderungen als ein Anpassen an die sich wandelnden Bedürfnisse.

Natürlich ging die Entwicklung nicht in synchron verlaufenden Schüben vor sich. So kam es vor, dass man sich an einem Ort gerade vom gotischen Blockwerk verabschiedete und die Pfeifenreihen einzeln als Register an- und abschaltbar einrichtete, an anderen Orten aber bereits eine größere Differenzierung der Klangmöglichkeiten mit Flöten oder Gedackten sowie den reizvollen Zungenstimmen erfolgte – so etwa in Nördlingen 1505, Rothenburg/Tauber 1510 oder St. Gallen 1511. Dafür waren sicher oft auch die finanziellen Verhältnisse verantwortlich. Beim St. Gallener Orgelbau ist erwähnt, dass das Pedal nicht mehr angehängt, sondern selbständig gebaut werden sollte. Außerdem erfahren wir von einem Umfang, der in der Bassregion bis zum F reichte. Die Angaben enthalten sogar das Detail, der Orgelbauer solle das Pfeifenmaterial auch auf der Seite hobeln, die bei den Pfeifen innen erscheine. [5] Erhaltene Dokumente aus der Zeit um 1500 belegen auch für andere Orte, wie sehr die Entwicklung des Orgelbaus voranschritt und welches Interesse auch die Auftraggeber daran zeigten. In Konstanz erreichte es der Organist Rupertus im Jahr 1507, dass der Reparaturauftrag zur Orgel des Domes abgeändert wurde: „sölle lassen etlich principal wyter dann vor angesehen ist machen." Ob dabei tatsächlich mehrere Register mit weiterer Mensur versehen worden sind, und wie dieser Auftrag umgesetzt wurde, lässt sich nicht feststellen. Immerhin kostete die Maßnahme 40 fl. [6] In Überlingen sollte der Orgelbauer beim Stimmen weder die „pfeiffen aufzerren noch zutrucken. Noch ob die pfeiffen zu vil wind hetten, löcher in die füß stechen vnd die pfeiffen allenthalben in die lad wol inreyben." [7]

So wie die Auftraggeber höchstes Interesse an den Tag legten, damit sie wirklich gute und dem aktuellen Stand der Orgelbaukunst entsprechende Instrumente erhalten konnten, konzentrierte sich nach der Anschaffung die Aufmerksamkeit auf das Orgelspiel und seinen Einsatz im Gottesdienst. Wie wir uns den Gebrauch der Orgeln in dieser Zeit vorzustellen haben, wird erst allmählich in Umrissen erkennbar. Dazu können wir Bilddokumente, Liturgika und sonstige Archivalien, etwa Organistenverträge heranziehen. [8]

Erhaltene Abbildungen von Instrumenten des 15. und 16. Jahrhunderts zeigen in der überwiegenden Zahl Flügel, mit denen sich die Schauseite, der Prospekt einer Orgel verschließen ließ. Selbstverständlich hatten diese Türen eine Schutzfunktion. Darüber schreibt Arnolt Schlick im 9. Kapitel seines Spiegel der Orgelmacher und Organisten von 1511:

Item die flügell so das werck fornen vnd die pfeifen vor staub / mücken / vnd andern bedecken. Des gleichen vor fledermeuß vnd fögel so in die kirchen kommen vff die pfeiffen. auch in die mundtlöcher fliegen vnnd schmeyssen mogen / sollen nit schwer oder blöchet sein das sie sich vndersich sencken. [9]

Schon hundert Jahre vor Schlick galt für den Organisten des Frankfurter Bartholomäus-Stiftes die Verpflichtung, sein Instrument sorgfältig zu verschließen. Und noch 1625 weist die Praxis Caeremoniarum des Andreas Piscara de Castaldo dem Organisten diese Aufgabe zu:

Ut Organum concinnè ornatum bene custodiatur, ac clausum maneat, nec nisi diebus festis, quibus eo utendum est, aperiatur.

(Dass die schön verzierte Orgel wohl gehütet und verschlossen bleiben, und nicht geöffnet werden soll, außer an Festtagen, an denen sie gebraucht wird). [10]

Es ist immer wieder darüber spekuliert worden, ob man das Öffnen und Schließen der Türen mit der Handhabung eines spätgotischen Flügel-Altars vergleichen könne. Erst vor einigen Jahren hat sich Johan Eeckeloo etwas systematischer mit dieser Angelegenheit befasst. [11] Seine Beurteilung mahnt zur Vorsicht, da er keinerlei historische Belege für einen solchen Vergleich finden konnte. Freilich darf dieses Fehlen auch nicht überbewertet werden. Hätte in der damaligen Zeit jemand eine Orgel mit zwei Türen in Beziehung zum Altar gebracht, hätte er damit dem Instrument – und wohl auch der Kirchenmusik insgesamt – einen Rang eingeräumt, der von der kirchlichen Obrigkeit zu keiner Zeit zugestanden werden konnte. Die musikalische Gestaltung der Gottesdienste ist seitens der Kirche immer als Musik zur Liturgie verstanden worden, nicht als Bestandteil der Liturgie.

Es gibt dennoch Anhaltspunkte, die darauf schließen lassen, dass das Öffnen und Schließen der Orgelflügel aus Gründen der Praxis in ähnlicher Weise wie bei Altären geschah, denn die Orgeln sollten in den kirchlichen Fastenzeiten nach kirchlicher Vorschrift nicht gespielt werden, und folglich blieben die Flügel zugeklappt. Genauso präsentierten sich die Altäre. In der Regel setzte man die Orgel an Sonntagen und an den höheren Festen ein. [12] Das belegen Dokumente aus Tongern, Paris, Frankfurt, Regensburg oder auch aus St. Gallen und Basel. [13] Die Zahl dieser Tage variierte etwa zwischen 20 und 70. Dazu kamen allerdings meist noch die Votivmessen an den Jahrestagen Verstorbener. Die Stiftungen zu den Anniversarien finanzierten dabei den Organisten und bestimmten auch das zu spielende Programm. In dem hochinteressanten Vertrag, den das Kloster St. Gallen 1505 mit dem Organisten Valentin Negelin schloss, sind neben den regelmäßigen Diensten an den kalendarisch festgehaltenen Tagen diese zusätzlichen Tätigkeiten explicit festgehalten:

Er sol och zu allen zitten, so man das begert schlachen, und ob man votiva hatt in organis, und allwegens ordenlich und wol erfarn, was er schlachen soll. [14]

Da die Kalendarien des 15. und 16. Jahrhunderts voll sind mit solchen gestifteten Jahrestagsmessen, müssen wir mit sehr viel mehr Orgelspiel rechnen, als es nach einem Blick in die Organistenverträge und Libri Ordinarii den Anschein haben könnte, also auch in der Fastenzeit. Dabei wird allerdings zu berücksichtigen sein, dass nicht bei jeder Jahrestagstiftung automatisch auf Orgelspiel zu schließen ist.

Von Ort zu Ort variierte auch die Beteiligung der Bruderschaften. In Trier wirkte 1501 ein Organist bei den Gottesdiensten der Johannesbruderschaft im Dom mit. [15] Der Kölner Johanniter-Bruder Hupert von Heinsberg stiftete 1463 eine Marienmesse. Die Orgel dazu sollte auf Kosten der Bruderschaft geschlagen werden. Diese Verpflichtung bestand noch 1488. [16] Bei der Kölner Maria-Magdalena-Bruderschaft war das Orgelspiel bereits 1444 in die Statuten aufgenommen worden, bei der Salve-Regina-Bruderschaft an St. Maria im Capitol ist es zwar erst 1507 dokumentiert, jedoch vermutlich schon lange üblich gewesen. Es sind kalendarisch sogar die Fest-Tage aufgeführt, die mit Orgelspiel ausgestaltet worden sind. 1496 beteiligte sich die Bruderschaft mit der nicht geringen Summe von 100 Gulden an der Reparatur der Orgel.

In Celle stiftete 1471 die Priesterbruderschaft Geld, von dem auch der Organist für das Spielen bei Gottesdiensten für Verstorbene bezahlt werden sollte. Es genüge aber, heißt es dort, wenn er wegen der angemessenen Bescheidenheit auf der kleinen Orgel spiele („Et sufficit, ut cantus dumtaxat pro humilitate nostra exhibenda in minoribus fiat organis"). [17] Ähnlich wie in Köln beteiligte sich 1493 die Kalandbruderschaft in Oschatz (Sachsen) finanziell am Neubau der Orgel. [18] Diese Aufzählungen ließen sich fortführen. Es sei jedoch auch auf die Statuten des Stiftes St. Sixtus in Merseburg (Thüringen) verwiesen, in denen von kirchlicher Seite die Pflichten des Organisten genauestens festgelegt waren. Dabei war es dem Organisten ausdrücklich verboten, an anderen Stellen oder Gelegenheiten zu spielen. [19] Freilich musste das nicht heißen, dass hier allein das Stift zuständig war. Das Verbot kann geradezu notwendig geworden sein, weil der Organist Aufträge von außen, also etwa von Bruderschaften angenommen hatte. Damit dies künftig unterbliebe, wurde die Bezahlung des Organisten vom Kapitel sogar erhöht. [20] Vielfach erfolgte die Anstellung eines Organisten gar nicht durch die Kirchenbehörden, sondern generell durch den Bürgermeister und Rat einer Stadt wie 1515 in Celle. [21]

Wie es scheint, war der Gebrauch der Orgel gut und sinnvoll geregelt. Dazu gehörte, dass desto mehr Musik gemacht wurde, je höher der Rang eines Sonn- oder Festtages im Kirchenjahr eingestuft war. Zu den höchsten Festen gehörten selbstverständlich überall Weihnachten, Ostern, Pfingsten und Christi Himmelfahrt sowie das Fest (oder die Feste) der lokal verehrten Heiligen. Von diesem obersten Rang gab es dann weitere Abstufungen, die sich etwa ablesen lassen an der Anzahl der liturgischen Lesungen, die in der Matutin vorgetragen wurden (drei, sechs oder neun). Als Bezeichnungen für den Rang der Feste findet man in zeitgenössischen Kalendarien gelegentlich recht anschaulich die Zahl der aufgesteckten Kerzen oder konkrete Kategorien wie „totum duplex", „duplex", „semiduplex" oder „simplex". Ganz unten in diesen Rangordnungen standen die einfachen Werktage, die üblicherweise weder mit mehrstimmiger Musik noch mit Orgelspiel bedacht waren. Höherrangige Tage erhielten mit der Musik eine spezielle Auszeichnung. Wenn man also die zunehmende Ausstattung von vielen Werktagen mit Orgelspiel annimmt, könnte – zumal durch die ständig weiter wachsende Zahl der Votivgottesdienste – eine Art klanglicher Nivellierung der eigentlich abgestuften Ordnung der Feste im Kirchenjahr eingetreten sein. Dieser Eindruck musste sich fast zwangsläufig einstellen, weil es nun die Hochfeste auch nicht mehr Musik aufwiesen als Werktage, die aufgrund einer Stiftung reichlich mit Musik versehen wurden. Die Unterschiede zwischen einfachen Tagen und Festtagen mussten nun auf andere Weise gewährleistet werden. Als Anzeichen dafür wären etwa die Kriterien zu werten, die man hinsichtlich der Festtagseinteilung in den Anstellungsverträgen der Organisten in St. Gallen von 1505 und 1515 eingeführt hat. Je nach Rang eines Festes hatten verschiedene Dignitäre des Klosters die Messe zu lesen. Wenn etwa - an höheren Festtagen - der Abt oder der Dekan zelebrierte, sollte langsamer gespielt werden als wenn etwa ein Mönch aus dem Konvent die Messe las. An solchen Tagen waren dann auch mehrere Teile des Stundengebets mit Orgelmusik ausgestattet. An Festen mit „totum duplex"-Auszeichnung sollten alle Register gebraucht werden, beim „duplex maius"-Rang musste der Organist

etlich register dann lassen styl stahn, wenn es aber duplex minus ist, [...] so soll er uff das alls minst register bruchen [...] Wenn man aber zu der münstermeß inn die orgla haist schlahen so sol er ganz cursarie schlahen [...] und die register uff das allerschlechtest bruchen. [22]

Das bedeutet nicht mehr und nicht weniger, als dass man die Trennungsmöglichkeit in unterschiedliche Register um 1500 nicht nur als eine musikalische Angelegenheit betrachtete, sondern die klanglichen Lautstärkegrade zur Charakterisierung des Festtag-Ranges wirken ließ. Weiterhin war auch die Geschwindigkeit geregelt, mit der zu spielen war:

Es sol och ain underscheid haben, under den festen und so min genediger Her singt, langsamer und flißiger zu schlachen, Och so ain techan singt von des fests wegen anderst dann so ainer von denm Convent singt. [23]

Diese Abstufung entspricht dem, was wir von der Choralpraxis her kennen. Conrad von Zabern etwa empfiehlt, „differencialiter" zu singen, dass man nämlich

yn hochtziglichen festen gar langcksam singt, An den schlechten suntagen vnd an den cleynen festen der heiligen mittellmessige mensur, An den wercktagen kürtzer mensur [24]

halten solle, wie das auf dem Konzil von Basel festgesetzt worden sei. Vor allem solle man an den „Werckeltagen" rasch singen, damit die Gottesdienste nicht zu lang würden, denn die Priester und die Laien hätten noch mancherlei Wichtiges zu arbeiten. Schließlich würde ansonsten auch der Kirchenbesuch darunter leiden.

Wenn also an hohen Festtagen langsamer gespielt werden musste, brachte das zugleich die Verpflichtung mit sich, „flißiger" zu schlagen, d.h. „löfflin" zu machen, wie es an anderer Stelle im St. Gallener Vertrag von 1515 formuliert ist. [25] Höherer Rang implizierte damit mehr Verzierungen, mehr Umspielungen. Wir haben uns daher das liturgische Orgelspiel um 1500 so vorzustellen, wie es seit den frühen Fundamentbüchern gelehrt wurde. Den Choral übernahm der Tenor, dazu setzte der Organist mit der rechten Hand improvisierend die trainierten Formeln und Läufe. Aus diesem Grund enthalten noch die Augsburger Orgelbücher aus der Zeit von 1511-1518 ausschließlich die Choralmelodien, freilich ohne Textunterlegung, denn diesen konnte der Organist nicht wiedergeben. [26]

Es wäre freilich merkwürdig, wenn es immer und überall so ordentlich vonstatten gegangen wäre. Auf Grund der aufgeführten Dokumente sind wir bei einigen wenigen Orten über die dortigen Gepflogenheiten sehr gut unterreichtet, über viele andere Kirchen wissen wir dagegen bisher wenig oder gar nichts. Es kann also der liturgische Registergebrauch in St. Gallen ein singuläres Beispiel sein oder wenigstens von vorübergehender und kurzfristiger Gültigkeit. Es hat zwar als wahrscheinlich und naheliegend, jedoch durchaus nicht als sicher zu gelten, dass sich der Organist tatsächlich an die Regelungen gehalten hat.

Anderswo ging es ohnehin weniger gesittet zu. In dem schon genannten Frankfurter Dokument von 1411 wird nämlich auch die Forderung ausgesprochen, es solle nichts Unnötiges gespielt werden. Von Spottliedern und weltlichen Gesängen solle der Organist vollkommen lassen, weil daraus eine Verhöhnung Gottes, eine Verwirrung des Klerus, Andachtslosigkeit der Gemeinde und häufig eine Gefährdung des Instrumentes erwüchsen. [27] Offenbar hat sich an der Tradition in den nächsten Generationen nichts geändert. 1495 untersagte die Synode von Schwerin das Musizieren von weltlichen Gesängen. Gerade die von den Organisten wohl gern eingesetzten nicht-geistlichen Lieder bereiteten dem Klerus Probleme. Im Vertrag des Valentin Negelin in St. Gallen von 1505 ist ein Passus enthalten, er dürfe kein

weltlich lied das man uff der gassen singt schlachen sonder mütteten stück [=Motetten] oder der glichen und das coral. [28]

Es ist allerdings nicht ganz einfach, diesen Texten immer Glauben zu schenken. Möglicherweise wiederholte man die Vorwürfe sicherheitshalber regelmäßig. Allerdings sei doch auf die Häufigkeit hingewiesen, mit der solche Kritiken auftreten. So merkte Erasmus von Rotterdam in seinem Kommentar zum 1. Korintherbrief (14. Kapitel) an, man könne in der Kirche Liebeslieder abscheulicher Art hören, zu denen Huren und Schauspieler tanzten. Durch solche Bräuche nährten sich die Orgelkünstler mit üppigen Gehältern. [29]

Heinrich Agrippa von Nettesheim, Archivrat der Margarete von Österreich, formuliert in seinem 1531 gedruckten und zahlreichen weiteren Auflagen europaweit verbreiteten Traktat De incertitudine et vanitate scientiarum seine Kritik an diesen Zuständen so:

Hodie vero tanta in ecclesijs musicae licentia est, vt etiam vna cum missae ipsius canone obscoenae quaeque cantiunculae interim in organis pares vices habeant, ipsaque diuina officia & sacrae orationum preces, conductis magno aere lasciuius musicis, non ad audientium intelligentiam, non ad spiritus eleuationem. [30]

(Heutiges Tages aber ist in den Kirchen der Music wegen eine Licentz und Freyheit / dass auch bey dem Sang der messe / garstige Lieder auf der Orgel geschlagen werden / und also / dass sie das Gebet und heilige Amt nicht in Ehren halten).

Lassen wir einmal dahingestellt sein, wie oft tatsächlich weltliche Musik mit den Kirchenorgeln veranstaltet worden ist. Ich will dazu aber noch eine Überlegung formulieren. Wenn der St. Gallener Organist Valentin Negelin verpflichtet war, „Mütteten stück oder derglichen" zu schlagen, [31] dann erklangen diese Kompositionen als Intavolierungen ebenso ohne Text wie der Choral oder auch weltliche Chansons und Lieder. Gerade in den verzierten Orgelbearbeitungen ist kaum herauszuhören, ob es sich um eine geistliche oder eine weltliche Vorlage handelt. Diese schwere Unterscheidbarkeit der klanglichen Resultate mag manchen Organisten bewogen haben anzunehmen, es sei nicht mehr von Relevanz, welche Musik er spiele, da das Entscheidungskriterium, der Text nämlich, nicht vorgetragen werde.

Dieser Auffassung trat Kardinal Kajetan in seinem 1517 und öfter gedruckten Kommentar zur Summa des Thomas von Aquin mit Entschiedenheit entgegen.

Sed occurrit hic dubium, an pulsare in organis inter officia ecclesiastica sonos secularium uanitatum, sit peccatum mortale. Et est ratio dubii, [...] quia sonus abstrahit à materia hac uel illa, & sonus qui ab uno applicatus est, ad materiam uanam, potest ab altero applicati ad materiam spiritualem, ut patet. [32]

(Es begegnet aber dieser Zweifel, ob nämlich das Spielen von nichtigen weltlichen Klängen auf der Orgel während des Gottesdienstes eine Todsünde sei. Und der Grund für den Zweifel ist der, [...] weil ja der Klang von diesem oder jenem Inhalt abstrahiert [wird], und der Klang, der von Einem zu nichtigem Inhalt verwendet wird, von einem Anderen zu geistlichem Inhalt verwendet werden kann, was offenkundig ist).

Es komme nun beim Orgelspiel im Gottesdienst mit weltlichen Klängen darauf an,

Hoc est ex intentione ingerendi illa uana, & non ex intentione ingerendi illa uana, sed tantummodo sonum illum. Et primo quidem modo, si res illae sunt non solum uanae, sed prouocatione ad impudicitiam & huiusmodi, manifeste est peccatum mortale: non solum inter ecclesiastica, sed extra: quia hoc est mortale ex suo genere, & tanto grauius quanto etiam inter diuina.

([...] ob man jenes Nichtige mit Absicht oder ohne Absicht hineinbringt, also allein den Klang. Und zwar erstens, wenn jene Sachen nicht allein nichtig sind, sondern zu Schamlosigkeit und dergleichen provozieren, dann ist es offensichtlich eine Todsünde, nicht allein in der Kirche, sondern auch außerhalb. Weil es von sich aus eine Todsünde ist, dann wiegt es umso schwerer, wenn man es im Gottesdienst macht).

Es sei – wie er weiter ausführt – die Absichtlichkeit, die das Spielen von Schlechtem oder Nichtigem im Gottesdienst zu einer Todsünde macht. Wenn dennoch einer nicht bedenke, dass er dem Gottesdienst dadurch Unrecht widerfahren lässt, sondern aus derartiger Unwissenheit Nichtiges aus schierer Vergnügung spiele, sei es danach zu beurteilen, ob die Musik aus einem Theatergesang oder einer Tragödie kommt, denn wegen dieser Verwendung seien diese Gesänge in der Kirche verboten. Um die Folgen ginge es aber, wenn wegen der Musik die Herzen der Zuhörer zu Schlechtem oder Nichtigem angehalten werden. In einem solchen Fall könne es zu einer Todsünde kommen.

Kajetans Text beleuchtet nicht nur sehr schön das Phänomen der Orgelbearbeitung von weltlichen Stücken, sondern indirekt auch, wie man die Kontrafaktur verstand. In jedem Fall geht eindeutig daraus hervor, dass verantwortliche Kirchenleute sich sorgfältig Gedanken zu dieser Sache gemacht haben. Einkalkuliert wird hier nämlich die semantische Ebene einer musikalischen Komposition. Entscheidend ist demnach, welche inhaltlichen Vorstellungen sich mit der Musik verbinden. Und für den Musiker gab es kaum ein Entrinnen vor der Sünde, wenn er bewusst weltliche Melodien in den Gottesdienst einbrachte. Allein schon Dummheit war in diesem Zusammenhang als – wenn auch lässliche - Sünde einzustufen. Dies galt aber sicher nicht nur in der Zeit um 1500.

Anhang:

Einen guten Einblick in die Technik- und Sozialgeschichte des Orgelbaus geben die – wenigen – erhaltenen Verträge. Außer den im Text des Beitrages bereits zitierten findet sich eine recht umfangreiche Urkunde zum Orgelneubau der Erfurter Marienkirche aus dem Jahr 1480 im Erfurter Bistumsarchiv. Als Ergänzung sei der Text hier erstmals komplett als Transkription veröffentlicht. [33]

Kommentar:

Im Dezember 1480, am Vorabend des Festes Mariae Empfängnis schloß das Kapitel der Marienkirche in Erfurt mit dem Orgelbauer Stefan Kaschendorfer [34] den Vertrag über den Bau einer neuen Orgel. Auf diesen Vertrag machte erstmals Siegfried Orth in den Jahren 1968 und 1970 aufmerksam. [35] Allerdings verwendete er dabei nur kurze Auszüge aus dem Originaltext als Zitate, der komplette Wortlaut wurde bisher nicht publiziert.

Kaschendorfer dürfte um 1425 geboren sein und ist nach dem 4. Februar 1499 verstorben. [36] Als er die Erfurter Orgel gemeinsam mit seinen Söhnen baute, war er also bereits ein sehr erfahrener Meister in seinem Beruf. Über das Instrument hatte bereits Michael Praetorius in der Organographia (Teil 2) seiner Syntagma Musicum von 1619 berichtet. [37] Auf diese Äußerungen scheint sich Orth mehr verlassen zu haben, als auf den nicht immer leicht zu lesenden „Dingezeddel und Brieff", der Praetorius ebenfalls vorgelegen hatte. Demnach befand sich die Orgel über dem Marienaltar an der Ostwand des nördlichen Querhauses. Bis heute hat sich dort eine Galerie erhalten, die in einer Ausbuchtung auch dem Organisten Platz bieten kann.

Allerdings gibt es Unstimmigkeiten zwischen den bei Praetorius und Orth gegebenen Informationen und der originalen Urkunde von 1480. Orth benennt den Umfang pauschal mit drei Oktaven „vom a beginnend". [38] Bei Kaschendorfer ist dagegen formuliert, „an den naturaln vnden an zcuheben am gam[m]aut vnnd obin uß excellent[es] uff daß hochste ff faut". Die unterste Taste (wenigstens der Manuale, vermutlich aber auch des Pedals) war also groß G; da von „naturaln" die Rede ist, dürften die Töne Gis und wohl auch B nicht vorhanden gewesen sein. Oben reichte die Klaviatur bis zum f'' im Bereich der wieder nach alter Terminologie benannten „excellentes", womit annähernd drei Oktaven ausgebaut waren. Wenn wir Praetorius folgen, muß das Tafelmaß und damit die gesamte Klaviatur breiter gewesen sein, nämlich „fast ein Clavis größer und weiter in den Octaven", „also das sie schwer zugreifen, tief hinunter gefallen und zähe zu schlagen gewesen." [39] Praetorius lernte die Erfurter Kaschendorfer-Orgel etwa 130 bis 135 Jahre nach ihrer Fertigstellung kennen. Wieweit in der Zwischenzeit Veränderungen vorgenommen worden waren, wissen wir in Umrissen [40] , aber vermutlich entsprach der Befund in etwa dem Erbauungszustand, der vor allem durch den Verschleiß und mehrere einschlägige Reparaturen, aber ohne gravierende Eingriffe beeinträchtig gewesen sein dürfte.

Da der Manual-Umfang bei Gammaut, also G begonnen hatte, erstaunt die Angabe im Vertrag, „die groste phife die man daß Bdur nen[n]et" sei etwa elf Ellen lang. „Bdur" bezeichnet den Ton H in der großen Oktave, der also zwei Ganztöne über dem Gammaut erscheint. Für diese Differenz zwischen der Untergrenze der Klaviaturen und dem H als größter Pfeife sehe ich zwei Erklärungen. Entweder hatten Manuale und Pedal eben doch unterschiedlichen Umfang, also Manuale ab G, Pedal ab H, oder die unterhalb des H liegenden Töne waren nicht als offene Pfeifen, sondern gedeckt gebaut, womit sie nur ungefähr die halbe Länge in Anspruch nahmen. Denkbar wäre hier eine Bauweise in Holz. Die angesprochene Pfeife H maß mit ihren elf Ellen ungefähr 4, 50 Meter, wenn man für eine Elle das Erfurter Maß von 40,3 cm zugrunde legt. Regional konnte die Länge freilich bis zu 70 cm betragen. Aber selbst mit 4,50 Metern entspricht das H Kaschendorfers beinahe einer offenen Prinzipalpfeife 16' bezogen auf den Ton C. Auch ohne die genaue Registerzahl zu kennen, erhalten wir mit diesem Vergleich eine Vorstellung, dass die Dimensionen der Erfurter Orgel immens gewesen sein müssen und ihr Klang bis in den 32'-Bereich hinabreichte.

Die im Vertrag als Entlohnung festgelegten 500 rheinischen Gulden waren für das Instrument sicher angemessen. Als Garantieleistung verpfändete Kaschendorfer Haus und Hof. Ob wir aus dem Passus, dass auch seine Söhne und Erben diese Gewährleistung übernehmen sollten, ein bereits fortgeschrittenes Alter des Orgelbaumeisters herauslesen dürfen, muss offenbleiben. Zu Abnahme sollte das Instrument von „redelich[e]n meistern vnnd persone[n] gute[n] organiste[n] wol v[er]sucht vnnd besunge[n]" werden. In dem Wort „besingen" ist das lateinische „cantare in organis" zu erkennen, mit dem traditionell Orgelspiel gemeint ist. [41]

Für den Bau der Orgel zog Kaschendorfer nach Erfurt, wo er Unterkunft und Speise erhielt. Nach Vertragsabschluss im Dezember 1480 sollte die Fertigstellung „vff die nechstkomenden phingisten ader Trinitatis vngeuerlich[e]n" erfolgen, eine in ihrer Kürze kaum glaubliche Bauzeit. Vermutlich konnte sie nicht eingehalten werden. Kaschendorfer erhielt die letzte Rate von 50 Gulden am 29. Mai 1484. Allerdings dürfte dies der Termin der Abnahme gewesen sein, denn bereits für die Jahre 1482 und 1483 belegt die thüringisch-erfurtische Chronik des Konrad Stolle Musik bei der Fronleichnamsprozession „uff der großen nuwen orgeln". [42] Demnach hätte Kaschendorfer immerhin ein spielfertiges Instrument vor Fronleichnam 1582 aufgestellt . Die zeitliche Differenz zur Abnahme und letzten Rate der Bezahlung würde sich dann aus Nachbesserungen im Rahmen der Gewährleistung erklären.

Vertrag zwischen dem Orgelmacher Stefan Kaschendorfer und dem Kapitel der Marienkirche zu Erfurt, 7. Dezember 1480 (Erfurt, Bistumsarchiv, Urkunde 1207)

Ich Steffanus Casschendorffer Burger zu Swydenitz jetzunt wonhafftig zu Dreßen Wergmeister Orgiln zcu machen Bekenne mit dissem myne[m] vffin vorbrugchen briue vor mich myne erbin vnnd erbnemen daß Ich vff huthe datum disses briues eyner Rechten vnnd redelich[e]n vortracht eyns word[en] byn mit den wirdigen unnd Erbarn Herrn Dechand[en] Schulmeister Buwmeister vnnd den and[ere]n Her[r]n deß Capitels vnßer liebin frawen Kirchen zcu Erffurt vmb eyn groß Orgelwergh In die obg[e]nante yre Kirchen zcu machen vnnd nemlichen eyn wergh da yre kirche vnd sie mit bewart synt mit sechtzen balgen vnd daruff phifen alß vil ßo sich von rechte uff sulche balge geboret / vnd sunderlich[e]n daß die groste phife die man daß Bdur nen[n]et / Eylff elle lang / ader nahe darbie habe vnnd behalde mit volkomendem gute[m] luthe hofelichin Stymmen / wolgemachten phifen von lutterm ziehne volkomelichin aller sach[e]n / myner handhalbin vnwandelbar nach achtunge yrer kirchen an die Stadt zcu setzen die sie mir uber dem Marien bilde bewißet habin Szo breit vnnd wyt von eynem philer biß an den andern / alß daß vffinberlich wißet wol geziret mit gesnytze vff daß hofelichste an allen sachen als vorbereit ist. Vnnd alßo guth alß ich daß gemachin kan / darzcu sullen sie mir schigke alle materialia vnnd bereitschafft / zcyen, bly, ledder / drot / holtz / leym nayle / vnnd waß darzcu gehoret / keynerley vßgeslossen vnsumelich[e]n vnnd sunderlichm daß gehuße / lade balge vnnd eyn guth posityff an der brust deß werkis mit guten sty[m]men der kirchin vnnd deme wercke beqweme Sal ich selber vff daß hofelichste mach[e]n / Sundern die vorguldunge vnnd maheln sullen sie darane vßrichten vnnd mach[e]n laßin daß andere waß deß ist / darane zcu mach[e]n Sal Ich allis mach[e]n ader zcu machen bestellen. Vnnd sal daß zcu machen anheben vff die nechstkomenden phingisten ader Trinitatis vngeuerlich[e]n nach datu[m] diß briues. Unnd mich daran mit myne[n] knechten vnsumelich[e]n halde vnnd getzuwelich[e]n erbeite bye myne[n] eigen koste[n] spiße vnnd trancke nach myner beqwemelichkeit vnnd nutze / dartzu sullen sie mir eyn hueß vnnd beqweme stad vnnd herberge schicken vnnd halden wu sie daß vff daß beqwemste erkennen dar Inne ich sulche arbeit wintt[ers] vnnd somer volkomelichin verbringe mage vnnd darvmb sullen sie mir zulone vnnd vor koste geben funffhu[n]dert Rinische guld[en] an golde vber myner erbeit / wan ich deß bedarff entzaln nach myner notdorfft darbie ich geerbeiten mag daruff ßo rede vnnd gelobe ich obg[enan]nter Steffanus Kasschendorffer bie myne[r] ware[n] truwen eren vnnd redelichkeit vor mich vnnd myne erbin daß ich solcher vortracht vnnd gedinge gnug thun vnnd guten Hern und Capittele In yre Kirch[e]n an die bewißete stadt Eyn schoen guth Orgelwerg ßo ich vorbestymet / vnnd benant ist mit gute[m] herlichen luthe alßo yier Kirchen suget guten wolgemachte[n] phifen bestendigen stymen posityffe zcwegen Registraturen Clauyrn guten balgen vnnd nemlich[e]n an dem Clauiger vnnd phifen an den naturaln vnden an zcuheben am gam[m]aut vnnd obin uß excellent[es] uff daß hochste ff faut / allis uff daß bestendigste vnnd hofelichste machen vnnd alßo ußrichten mit gotis hulffe Sie vnnd die Kirch[e]n alßo zcubeware[n] daß sie mir deß danken sullen vnnd daß ich als ich hoffe darvon gelobit geeret vnnd gefurdert werde vnnd ich wil yn eyn sulch ogelwerg mit gotis hulfe mach[e]n daß se[i]n gliche an sulcher große vnnd werde hie hundert mylen / umb erffurt nicht stehen sol vngeuerlich vnnd wan[n] ich daß gemacht vnnd wol bereit habe vnnd mit redelich[e]n meistern vnnd persone[n] gute[n] organiste[n] wol v[er]sucht vnnd besunge[n] wirdt Bekendten dan die obg[e]n[ann]ten h[err]n und die selbien p[er]son[en] die daß besunge[n] vnnd versucht hab[e]n daß ich sulche sum[m]e gulden nicht wol verdient / sie vnnd die Kirche nicht wol beward hette Szo sullen sie mir nach erkentniß eynes Erbarn raths zcu Erffurt vnnd der organiste[n] die daß besungen habin mynie gebin ader ich will daß alß vil besser nach erkentniß der obg[e]n[ann]ten vnnd aller ander[en] fromer luthe myn loen volkomelich[e]n zcu verdiene[n] vnnd ap ich vber sulch[er] arbeit vorstorbe deß mich goth friste nach synem gothlich[e]n willen vnnd sie hete[n] mir vber myne erbeit dye ich gehan hette etwaß an gelde vberley gegebin vnnd gethan Sulcher summe geldis sullen sie sich an Caspar melchior vnnd michael myne[n] Soene[n] vnnd erbin erhole[n] vnnd daß an alle myne[n] hußrathe huße vnnd hofe zcu der Swidenitz vnnd zcu dreßen warte[n]de daß yn allis sal ve[r]phendt sien / die selben myne Sone solden dan[n] sulch werg mit ginist rathe wille[n] vnnd wisse[n] der H[err]n deß Capittels volbrenge ader zcu volbrenge[n] bestelle mit dem besten meister den sie gehabe ad[er] bekome[n] mohgte[n] ap daß der h[err]n wille wirde ader sullen dem Capittel sulich my[n] uffgehabin vnnd vnv[er]dient gelt widder kere vnnd bezcale ane allegeuerde Sunderlichen daß balghuß vnnd waß zcym[m]erluthe angehoret / geruste vnnd grobholtz balgstange[n] vnnd ander dergl[eichen] vnnd vier holtzer da ma[n] die großen phifen vber boiget Sal eyn zcym[m]erma[nn] mache daß sulle[n] sie zcu mach[e]n bestellen Rede vnnd gelobe auch In gute[r] truwen eyns sulch[e]n obg[e]n[ann]ten werghs von myne[n] hende[n] alßo gemacht zcuwerhne vor mich vnnd die obg[e]n[ann]ten myne Sone die wile ich vnnd sie leben vngeu[er]lichen alßo daß das sust anderley wiße nicht v[er]warloßet werde / Vnnd wan daß eyn ader zwey Ire wol besungen gebrucht vnnd wol v[er]sucht hat / d[ü]ngken den die obg[e]n[ann]ten h[err]n vnnd Capittel daß iß yn am lute nicht behaget zu scharff/ zcu starg / schriend ader zcu tu[n]ckel vnnd zcu schwach sie nach achtu[n]ge yrer Kirch[e]n Szo will yn daß wandele vnnd and[er]wert stym[m]e nach yr[er] behegelichkeit / vmb den obgenannten lon vnnd uff myne koste vngeu[er]lichen vnnd daruber uff suliche myne erbeit habin sie mir bereith gegebin zehen gute rinische guld[en] an golde darvmb sehend will ich holtz zcu dem gehuße zcu thurmen posse[n] semsen vnnd waß mich nothdu[n]chet sien / zcu dießen schryben daß selbe holtz sullen sie alher keyn Erffurt schicke[n] vnnd fure[n] lassen uff yre kost vnnd fuerlon anegeu[er]de Hiebei sint gewest / die Ersame[n] vnnd wiße[n] Er. hans fu[n]cke vnnd Er. H[er]man Brugslegel deß Ratisfrunde zcu erffurt / Darzcu gebetin die daß alßo zcwischen den h[err]n vnnd mir i[n]verdingt hab[e]n vnnd deß zcu orkunde daß sulch v[er]tracht / von mir vnnd myne sone stete vnnd gantz sal gehalden werde habe ich yn disse[n] versigilten brieff mit myne[m] eigen Insigil vor mich die obg[e]n[ann]ten myne sone vnnd erbin hie an gehangen vor Sigilt gegeben Nach Cristi vnßers h[err]n Vierziehnhundert Jar darnach In dem achzcigstin Jahre vff darnstagk vigilia conceptionis virginis gloriose.

[1] Dazu können Vergleiche mit anderweitig erhaltenen Pfeifen aus der Gotik dienen. Abbildungen finden sich etwa bei Maarten A. Vente, Die brabanter Orgel. Zur Geschichte der Orgelkunst in Belgien und Holland im Zeitalter der Gotik und der Renaissance, Amsterdam 1963, 36-37.

[2] Die Informationen zur Orgel in Ostönnen basieren auf einem Besuch im Herbst 2005. Der Organistin, Frau Erika Strelow, sei an dieser Stelle ebenso herzlich gedankt wie Herrn Orgelbaumeister Rowan West, der mit der Restaurierung beauftragt war. Einen Überblick zu den Daten des Instruments bietet die Internet-Enzyklopädie Wikipedia. Auf der Internetseite www.ostönnen.de/kirche/orgelstart.htm finden sich ein – offenbar anderweitig nicht publizierter Bericht zur Restaurierung von Helmut Fleinghaus und zahlreiche Bilder.

[3] Hans Nelsbach, „Die Orgelbauer des Kölner Domes", Gregorius-Blatt. Organ für katholische Kirchenmusik 50 (1926) 69-74; hier: 69.

[4] Ingeborg Rücker, Die deutsche Orgel am Oberrhein um 1500, Freiburg im Breisgau 1940.

[5] Rücker, Die deutsche Orgel am Oberrhein, 122 f.

[6] Die Protokolle des Konstanzer Domkapitels. 4. Lieferung Juli1504-Dezember 1509, bearbeitet von Manfred Krebs, 1955 (=Beihefte zur Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 103; NF 64) 86.

[7] Rücker, Die deutsche Orgel am Oberrhein, 156.

[8] Franz Körndle, „?Usus' und ?Abusus organorum' im 15. und 16. Jahrhundert", in: Acta Organologica 27 (2000) 223-240 (=Tagungsbericht Stendal 1998, hg. von Franz Körndle).

[9] Arnold Schlick, Spiegel der Orgelmacher und Organisten, Speyer 1511; Faksimile-Neudruck nebst einer Übertragung in die moderne deutsche Sprache und Erläuterungen herausgegeben von Paul Smets, Mainz 1959, Blatt f [iv].

[10] Lib. I. Sect. VI, Cap. II. 3. Weitere Ausgaben erschienen in Neapel 1645, Venedig 1681 und Sulzbach 1715. Der Text ist vollständig mit Übersetzung im Anhang meines Beitrags ?Usus' und ?Abusus orgnorum' wiedergegeben.

[11] Johan Eeckeloo, „Orgelflügel: Liturgie und Aufführungspraxis", in: Stichting Organa Historica (Hg.), Die bemalten Orgelflügel in Europa, Rotterdam 1997, 28-33.

[12] Luigi F. Tagliavini, „Le rôle liturgique de l'organiste des origines à l'époque classique", Actes du Troisième Congrès International de Musique sacrée, Paris 1957, 367-372. Rudolf Pacik, „Zur Stellung der Orgel in der Katholischen Liturgie des 16. Jahrhunderts", in: Orgel und Orgelspiel im 16. Jahrhundert. Tagungsbericht Innsbruck 9. -12. 6. 1977, hg. v. Walter Salmen, Neu-Rum bei Innsbruck 1978 (=Innsburcker Beiträge zur Musikwissenschaft, hg. v. Walter Salmen, Bd. 2), 120-143.

[13] Körndle, „?Usus' und ?Abusus organorum'", 225-227. Pacik, „Zur Stellung der Orgel", 120 f.

[14] Rücker, Die deutsche Orgel am Oberrhein, 165.

[15] Bernhard Schneider, Bruderschaften im Trierer Land. Ihre Geschichte und ihr Gottesdienst zwischen Tridentinum und Säkularisation, Trier 1989, 344 (=Trierer Theologische Studien 48).

[16] Klaus Militzer (Bearb.), Die Kölner Laienbruderschaften vom 12. Jahrhundert bis 1562/63, 4 Bde., Düsseldorf 1997, 1999 und 2000, Bd. 2, 686 und 689.

[17] Dieter Brosius (Bearb.), Urkundenbuch der Stadt Celle, Hannover 1996, 245 (=Lüneburger Urkundenbuch, 17. Abt.; Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen 37; Quellen und Untersuchungen zur Geschichte Niedersachsens im Mittelalter 20).

[18] Johannes Rautenstrauch, Luther und die Pflege der kirchlichen Musik in Sachsen (14. -19. Jahrhundert). Ein Beitrag zur Geschichte der katholischen Brüderschaften, der vor- und nachreformatorischen Kurrenden, Schulchöre und Kantoreien Sachsens, R Hildesheim-Wiesbaden 1970, 34.

[19] Urkundenbuch des Hochstifts Merseburg. Erster Theil. (962-1357), hg. v. d. Historischen Commission der Provinz Sachsen. Bearbeitet von P. Kehr, Halle 1899, 965 (=Geschichtsquellen der Provinz Sachsen und angrenzender Gebiete Bd. 36).

[20] Ebenda.

[21] Brosius, Urkundenbuch der Stadt Celle, 454 f.

[22] Rücker, Die deutsche Orgel am Oberrhein, Freiburg 1940, 166. Pacik, „Zur Stellung der Orgel", 123.

[23] Rücker, Die deutsche Orgel am Oberrhein, Freiburg 1940, 166.

[24] Karl-Werner Gümpel, Die Musiktraktate Conrads von Zabern, Wiesbaden 1956, 143.

[25] Rücker, Die deutsche Orgel am Oberrhein, 166.

[26] Leo Söhner, Die Geschichte der Begleitung des gregorianischen Chorals, Augsburg 1931, 1-9.

[27] Jacques Handschin, „Orgelfunktionen in Frankfurt a. M. im 15. und 16. Jahrhundert", ZfMw 17 (1935) 108-110; hier: 109.

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