Flötenstimmen

Im weiteren Sinne sind alle Labialregister der Orgel Flöten: sie besitzen ein Labium wie die Blockflöte, das durch Anblasen den Klang hervorbringt. Im engeren, orgelspezifischen Wortsinn werden jedoch die Labialregister je nach Mensur und Bauart weiter unterteilt, in die Streicherregister mit enger, die Prinzipale mit mittlerer und die eigentlichen Flöten mit weiter Mensur. Dazu treten noch die Gedacktregister, bei denen die Mensurunterschiede ebenfalls eine Rolle spielen, die sich jedoch untereinander im Klangcharakter ähnlicher sind als dies bei offenen Registern der Fall ist.

Registernamen, die den Wortbestandteil „-flöte“ enthalten, kommen jedoch bei offenen weitmensurierten Flötenregistern ebenso vor wie etwa bei einigen Gedacktregistern und überblasenden Stimmen. Der Registername allein kann also bei der Einschätzung der Bauart des Registers gelegentlich in die Irre führen.

Zu den eigentlichen Flöten im orgelbauerischen Sinne gehören Register, die weiter als Prinzipale mensuriert sind. Ihr Klang besitzt daher einen durchaus kräftigen Grundton und relativ wenig hervortretende Obertöne. Die offene Bauweise erzeugt aber vor allem die dem Grundton nächstfolgenden Obertöne der Oktav, der Duodezime und der Doppeloktave. Der resultierende Gesamtklang ist deutlich vernehmbar und tragfähig, dabei mild und angenehm, doch ohne den Glanz der Prinzipale, den die höheren Obertöne in deren Klangspektrum vermitteln. Ähnliche Klangeindrücke lassen sich aber auch mit anderen Pfeifenbauweisen erzielen, etwa mit Teilgedackten oder überblasenden Registern (weshalb diese auch gelegentlich „-flöte“ im Namen tragen).

Offene Flötenregister besitzen – ebenfalls im Gegensatz zu den stets zylindrischen Prinzipalen – häufig auch eine konische Form, meist dabei vom Labium zum Pfeifenende hin enger zulaufend (Abb. Spitzflöte), wie ehedem auch die Vorbildinstrumente Block- und Querflöte selbst. Sehr selten kommt auch ein Register vor, dessen Pfeifen vom Labium weg weiter werden, wie bei manchen Zungenstimmen und vielen anderen Blasinstrumenten, mit Namen Dolkan/Dolzian (Abb. labialer Dolzian) (nicht zu verwechseln mit dem Zungenregister Dulzian). Der Klangcharakter spiegelt sich in der Benennung, die aus dem italienischen „dolce“ (süß) abgeleitet ist.

Die häufigsten offenen Flötenregister sind die Register „Hohlflöte“ (weit-zylindrisch), das als hohe Stimme (in 2’ oder 1’) den Namen „Sifflöt“ oder ähnlich (auch z. B. „Suiflöte“) trägt; letzterer ähnlich die „Waldflöte“ (enger; ebenfalls meist 2’), sowie – trotz des „Horn“-Namens – das offen gebaute „Nachthorn (8’).
Konische Form besitzen das „Gemshorn,“ die „Spitzflöte“, die „Flachflöte“ (mit recht enger Mensur), sowie (mit zylindrischem Beginn) die „Spillflöte“ (von Spill = Spindel). (Abb. Spillflöte) Eine spezielle und im 18. Jahrhundert weit verbreitete Form des Gemshorns ist das Register „Nasat“ 22/3’ oder 11/3’, die wichtigste Klangalternative zu den der Prinzipalgruppe zugehörigen „Quint“-Registern. Auch das Register „Blockflöte“, bei einigen Orgelbauern auch nur „Flöte“, ist – bei offener Bauweise – ein solches konisch gebautes Register, das in seiner Bauweise etwa die Mittelstellung zwischen den unterschiedlich weit mensurierten Registern Gemshorn und Spitzflöte einnahm. Zu den Flötenregistern zählt schließlich auch die schwebend gestimmte Stimme „Unda maris“, deren Bauart variieren konnte. Sie war jedoch immer zusammen mit einem weiteren Flötenregister disponiert. Wenn beide Stimmen dann zusammen gezogen wurden, stellte sich durch die schwebende Intonation der von der Benennung versprochene Effekt der „Meereswogen“ ein ... mit etwas Phantasie und gutem Willen.

Damit in Zusammenhang entstehen wohl zunächst als ein Experiment des 18. Jahrhunderts die doppelt labierten Stimmen, Pfeifen mit zwei Labien, entweder auf Vorder- und Rückseite der Pfeifen oder aber im rechten Winkel zueinander, mit Namen wie „Piffara“ (Bifra usw.) oder „Doppelflöte“, meist gedackt, seltener auch offen. Hier sind gleichsam zwei Pfeifen in einer vereint, denn an beiden Labien entstehen Schwingungen, die allerdings mit ein und derselben Pfeifenröhre kommunizieren. Sind die beiden Labien dabei nicht exakt gleich positioniert und dimensioniert, entstehen minimale Verstimmungen, die als kleine Tonhöhenschwebungen dem Klang einen besonders ätherischen Charakter verleihen. Manch ein Orgelbauer setzte hierzu aber auch einfach zwei Pfeifen Rückwand an Rückwand aneinander, und erfüllte so die Bezeichnung Doppelflöte wörtlich.

Die Unterschiede in Klang und Bauweise zwischen diesen genannten Registern sind nicht sehr groß: Varianten ergeben sich durch unterschiedliche Aufschnittmaße oder Steigungswinkel des Pfeifenkonus. Allen gemeinsam ist aber ihr zu den Prinzipalen kontrastierender Klangcharakter. Damit bildet die Gruppe der Flötenstimmen die wichtigste Gruppe von alternativen Klangfarben zu den Prinzipalregistern entsprechender Fußlagen.

v. l. n. r.: Spitzflöte und labialer Dolzian (aus Dom Bedos: L'Art du Facteur d'orgues), Spillflöte (aus Praetorius: Syntagma Musicum II) 
v. l. n. r.: Spitzflöte und labialer Dolzian (aus Dom Bedos: L'Art du Facteur d'orgues), Spillflöte (aus Praetorius: Syntagma Musicum II)
 

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