Conrad Graf in Wien

Échantillon musical:
Ausschnitt aus Robert Schumann, In der Nacht, Fantasiestücke op. 12, Nr. 5
gespielt von Jörg Demus
Instrument: Conrad Graf, Wien 1839


Waren Stein und Anton Walter die Vorbilder für die deutschsprachigen Klavierbauer bis um etwa 1810, so nahm danach Conrad Graf diese Vorbildfunktion ein. Seine Instrumente galten in den ausgehenden Lebensjahren Beethovens und Schuberts, aber vor allem zu Zeiten der bedeutenden deutschen Romantiker wie Mendelssohn Bartholdy, Schumann und des jungen Brahms als Spitzenprodukte des Klavierbaus im deutschsprachigen Raum. Sie besitzen nach wie vor eine „Wiener Mechanik“, sind aber in den Abmessungen und im Tonumfang deutlich größer als die Instrumente vor und um 1800. Im Volumen konkurrieren sie bis zur Jahrhundertmitte mit englischen und französischen Instrumenten, doch war damit schon ein Stadium erreicht, das ohne grundlegende Neukonstruktion kaum noch weiter gesteigert werden konnte.

Die Instrumente dieser „zweiten Wiener Schule“ des Klavierbaus unterschieden sich schon äußerlich erkennbar von denen der älteren Tradition nach Stein oder Walter. Hatten diese noch ein cembaloähnliches Gehäuse mit abgeschrägten Klaviaturwangen, schlanken Beinen an allen Ecken des Instruments und – insbesondere bei älteren Instrumenten – schwarzen Unter- und weissen Obertasten, so wirken die späteren Flügel erheblich „wuchtiger“ mit rechteckigen Wangen und abgeschrägten Ecken, lediglich drei massiven Beinen und moderner „schwarz auf weiss“ Klaviatur, nicht unähnlich den englischen Flügeln der Zeit. Dem größeren Tonvolumen entsprach auch ein deutlich vergrößertes Volumen des Instruments selbst, in dem zudem noch Raum geschaffen werden musste für die Mechanismen der gerade in dieser Zeit so beliebten „Effektregister.“ Manche dieser Instrumente besaßen (auf Wunsch und gegen entsprechenden Aufpreis) mehr als ein Halbdutzend Pedale; zum Standard zählte dabei neben den traditionellen und noch heute üblichen „Forte“ (Dämpferhebung) und „Piano“ (Klaviaturverschiebung/„Una corda“) in aller Regel ein weiteres Pianopedal, der „Moderator“, ein Filztuchstreifen, der in die Flugbahn der Hämmer eingeschwenkt wurde, was einen „weicheren Anschlag“ und Klangkontrast zum Lederkopf der Hämmer ergab.
Häufig vorhanden war auch ein „Fagott“-Pedal: Dabei wurde eine Pergamentrolle auf die Bass-Saiten abgesenkt, was deren Klang schnarrend einfärbte. Seltenere (und aufwendigere) Effekte waren die „Janitscharen“-Register, die die „Türkischen Musiken“ (frühe Blasorchester mit reichlich Schlagwerk) imitieren sollten, wie die „Große Trommel“ (ein Klöppel, der auf den Resonanzboden schlug), „Triangel“ (ein ebensolches) und „Becken/Schellenbaum“ (kleine Kalottenglocken aus Metall) usw.; derartige Effekte mögen heute manch Kopfschütteln auslösen, doch galten sie zu ihrer Zeit als reizvolle Zutat, und kaum ein Flügel besaß nicht wenigstens eines jener Effektregister. Nur wenige Komponisten haben sie allerdings speziell vorgeschrieben (Échantillon musical unten), da es sich dabei gleichsam um Luxusausstattungen handelte, die sich nicht jeder Klavierkäufer leisten konnte oder wollte.

Échantillon musical:
Ausschnitt aus Daniel Steibelt, Der Brand von Moskau, Ausschnitt
gespielt von Christoph Hammer
Instrument: Jacob Bertsche, Wien ca 1810


In dieser Zeit sind bereits erste Ansätze zur Verwendung von zugelieferten Bauteilen aus Metall auch im Wiener Klavierbau erkennbar. Neben Stimmstockspreizen und Hammerkapseln aus Messing sind auch standardisierte Dekorelemente an vielen Flügeln aus ganz unterschiedlichen Werkstätten vorzufinden; dies bezeugt, dass auch in Wien die Ära der für sich allein arbeitenden, handwerklichen Klavierbauer zu Ende ging.

 
 
 

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