Das englische Cembalo

England war einer der wichtigsten Absatzmärkte für flämische Tasteninstrumente und London ein wichtiger Zufluchtsort für Instrumentenbauer vom Kontinent, die vor politischen oder wirtschaftlichen Krisen in ihren Heimatländern Zuflucht suchten. So stammten viele Cembalobauer in London etwa aus Flandern oder Frankreich. Erst im 17. und frühen 18. Jahrhundert sind eine gewisse Zahl einheimischer Hersteller wie die Familien Ha(y)ward und Hitchcock, John Player oder Thomas Mahoon nachweisbar. Doch die größte Blütezeit des Cembalobaus in England, die verhältnismäßig spät, erst nach etwa 1730, einsetzte, war mit zwei deutschsprachigen Zuwanderern verbunden, dem Elsässer Jacob Kirchmann (Kirckman) und Burkhard Tschudi (Burkat Shudi) aus Schwanden im Kanton Glarus.

Shudi eröffnete seinen Betrieb um 1728, Kirckman zehn Jahre später, beide ansässig in der Great Pulteney Street in Soho, in Sichtweite zueinander: Bei Shudi entstanden in etwas mehr als sechs Jahrzehnten 1155 Cembali, das letzte (damals schon von John Broadwood) im Jahre 1793, Kirckman baute sein letztes gesichertes Cembalo 1800 (vielleicht sogar erst 1809; insgesamt ca. 2000) – neun Jahre nach Mozarts Tod und acht Jahre nach der Londoner Uraufführung von Haydns Sinfonie Nr. 98, zu der Haydn selbst noch eine Cembalostimme geschrieben hatte. Haydn wohnte in London bei Kirckman und nahm bei seiner Rückreise ein Cembalo mit nach Wien.

Die englischen Cembali von Shudi und Kirckman standen also zumindest seit etwa 1760/70 in direkter Konkurrenz zum Pianoforte und repräsentieren den letzten Höhepunkt an klanglicher Entfaltung, aber auch technischer Begrenzung im Vergleich zu diesem. Sogar der Zeitpunkt der „Ablösung“ des Cembalos durch das Pianoforte lässt sich aus den hinterlassenen Geschäftspapieren von Burkat Shudi sehr genau eingrenzen: Im Jahr 1783 verkaufte die Firma „Shudi & Broadwood“ erstmalig mehr neue Pianofortes als neue Cembali.

Die englischen Cembali dieser Epoche waren klanglich eindrucksvolle Instrumente mit voluminösem Ton und einer Reihe technischer Finessen, wie den pedalbetätigten Machine stops zum plötzlichen Registerwechsel (für Laut-Leise-Kontraste) oder dem 1769 von Shudi patentierten Venetian swell, einem Jalousieschweller, der Crescendo/Decrescendo ermöglichen sollte; ähnlich, aber weniger effizient funktionierte Kirckmans einige Jahre früher entwickelter Nag’s head swell (wörtlich: „Fohlenkopfschweller“).

Mehr als die Hälfte der Instrumente besaßen zwei Manuale und vier Register (3x8’, 4’, dazu der Lautenzug, ein spezieller Dämpfer) und ein Gehäuse aus Eiche oder Mahagoni. Ihr musikalisches Potential maß sich nicht mehr am Repertoire der französischen Clavecinisten oder der deutschen Klaviermusik von Johann Sebastian Bach, sondern den Werken Händels und seiner Nachfolger in der damals reichsten Musikmetropole Europas – von Thomas Augustine Arne und Johann Christian Bach bis Joseph Haydn. Die Klaviermusik dieser Periode nach 1750, die gemeinhin aufgrund ihrer differenzierten Dynamik automatisch dem Pianoforte zugeschrieben wird, war auch auf diesen englischen Cembali darstellbar – und dürfte zu einem gewissen Teil auch tatsächlich dafür komponiert worden sein, wie etwa die Sonaten des Komponisten und Astronomen William Herschel.

Englische Cembalo mit Jalousieschweller
Englische Cembalo mit JalousieschwellerEnglische Cembalo
 

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