Dokumentation historischer Flügel der Klassik Stiftung Weimar
Es war uns eine besondere Ehre, im Rahmen eines
Projektes im KUR-Programm zur Konservierung und Restaurierung von
mobilem Kulturgut (gefördert durch die Kulturstiftung des Bundes und die
Kulturstiftung der Länder 2007-11) die Dokumentation mehrerer
bedeutender Instrumente der Klassik Stiftung Weimar übernehmen zu
dürfen:
anonym überlieferter Hammerflügel aus der Schule von Johann Andreas Stein. Im Zuge der Dokumentierung des Instruments identifiziert als ein Instrument des Stein-Schülers Johann Georg Schenck, Weimar 1798 (siehe unten).
Hammerflügel von Sébastien Érard 1811/12 der Großfürstin Maria Pavlovna. Laut Betriebsaufzeichnungen in den letzten Tages des Jahres 1811 fertiggestellt, aber erst nach Neujahr und daher mit dem Jahr 1812 auf dem Vorsatzbrett ausgeliefert, kurz darauf handschriftlich auf "1802" geändert.
Hammerflügel von Nannette Stein/Streicher ca.1825 aus dem Umfeld der Weimarer Hofkapelle und
Hammerflügel von Jean Louis Boisselot, Nr. 2800 von 1846 aus dem Besitz von Franz Liszt.
Die Frühgeschichte des Weimarer Schenck-Hammerflügels ist nur vage bekannt. Als lokales Produkt scheint es auch für einen unbekannten Abnehmer am Ort entstanden zu sein; örtliche Legenden und die spätere Aufstellung im Widdumspalais brachten das Instrument mit der Klavierpraxis Anna Amalias von Sachsen-Weimar in Verbindung, doch konnte hierfür kein konkreter Nachweis gefunden werden. Es scheint aber einige Zeit im Umfeld des Weimarer Hofes, vielleicht auch im Hoftheater, in Benutzung gewesen zu sein. Seine konstruktiven Eigenheiten belegen allerdings die weitere Ausbreitung der Bauweisen und Klangideale, die sich mit den Instrumenten Johann Andreas Steins verbanden, durch dessen Schüler.
Der Flügel von Érard wurde in politisch
unruhigen Zeiten von Großfürstin Maria Pavlovna für das Weimarer Schloss
angekauft,
wo er zum persönlichen Musizieren der Großfürstin aus ihrer (in der HAAB
Weimar erhaltenen) umfangreichen Sammlung von Klaviermusik und zur
Kammermusik an seinem historischen Standort, dem Zedernzimmer des
Weimarer Schlosses, diente. Es handelt sich um ein ausgesprochenes
Luxusmodell im Empire-Stil. Vergleichsstücke zu diesem Flügel befinden
sich u.a. in Amsterdam aus dem Besitz der niederländischen Königs Louis
Bonaparte und in Stockholm aus dem Besitz der schwedischen Königsfamilie
Bernadotte.
Der Streicher-Flügel hat enge Bezüge zu
Hofkapellmeister Johann
Nepomuk Hummel und den Musikern der Weimarer Hofkapelle, besonders der
Musikerfamilie Eberwein. Das Instrument wurde ungewöhnlich viel
gespielt, was sich an regelrecht ausgehöhlten Tastenbelägen zeigt. Es
repräsentiert die Vorliebe für Flügel der Firma Streicher, die Hummel in
Weimar etablierte, beginnend mit dem für ihn 1819 beschafften
Dienstinstrument und verbreitet durch Hummels Vorbild als Mozart- und
Beethoven-Interpret und als gesuchter Klavierlehrer. Die Wahl eines
Streicher-Flügels durch Goethe, auf dem wiederum Felix Mendelssohn
Bartholdy für Goethe musizierte, zeigt ebenfalls diesen Einfluss.
Auf
dem Boisselot-Flügel konzertierte Franz Liszt auf seiner letzten großen
Tournee 1846/47 und verwendete ihn danach zum Komponieren in seiner
Weimarer Zeit. Vom Transport von Marseille nach Istambul, dann nordwärts bis in die heutige Ukraine und von dort nach Weimar recht ramponiert, war das Instrument nicht mehr tauglich für öffentliche Präsentationen, bedeutete Liszt aber offenbar persönlich sehr viel, hatte er doch bei seinem Konzert darauf in Kiev 1847 Carolyne zu Sayn-Wittgenstein kennengelernt. Ob auch die vielen berühmten Musiker auf Besuch in der Altenburg wie Hector Berlioz oder Richard Wagner dieses sehr private Instrument kennenlernen durften, ist nicht bekannt. Mithilfe dieses Instruments entstand der bedeutendste Teil der Kompositionen Liszts während seiner Weimarer Jahre und er erklärte in einem Brief an Xavier Boisselot: „Obwohl die Tasten durch die Kämpfe der Musik in Vergangenheit,
Gegenwart und Zukunft fast abgenutzt sind, werde ich dem Vorschlag, es
auszutauschen, niemals zustimmen und habe mich dazu entschlossen, es als
bevorzugten Arbeitskollegen bis zum Ende meiner Tage zu behalten.“ (Brief vom 3.1. 1862; abgedr. in: Adrian Williams (ed.): Franz Liszt: Selected letters, Oxford, p.572.)
Diese Hammerflügel sind eng mit dem kulturellen Leben der Weimarer Klassik und ihrer Musik verbunden. Eine Personalisierung gelingt hier nicht nur über die Besitzer, sondern auch über die Zuhörer. So dürfen wir annehmen, dass sowohl dem Érard-Flügel als auch dem Streicher'schen Instrument Goethe anregende und tiefe Musikerlebnisse verdankte. Beethovens Musik mag mit dem Flügel von Nannette Streicher und unter dem Vortrag von Hummel eine Wirkung entfaltet haben, deren Berührung wir in Goethes Gedanken zu dieser Musik begegnen. Und zuletzt hat der Flügel von Boisselot in bewegter und anspruchsvoller Zeit Franz Liszt gedient, er war Werkzeug einer Klavierkultur, die von wenigen so nachhaltig geprägt wurde wie von Liszt selbst. So ist auch hier die klangliche Anlage und die sich ergebende Spielstruktur ein wichtiger Hinweis auf die sich beständig verändernde Idee des musikalischen Vortrags.
Da Musikinstrumente nicht Vorgefundenes, sondern Abbilder einer Vorstellung wiedergeben, werden in der Baustruktur und der Anlage der Spielmechanik poetische Ideen unmittelbar verständlich. Man kann in diesen vier Instrumenten von 1798, 1812, 1825 und 1846 einen Paradigmenwechsel der Klangideen verfolgen. Jedes hat eine andere Mechanik: Das Instrument von Schenck eine deutsche Mechanik nach Stein, der Érard-Flügel eine (nachträglich leicht modifizierte) Zugmechanik nach eigenem Entwurf von 1807, der Streicher-Flügel eine Wiener, der Boisselot-Flügel eine Englische Mechanik. Dies verdeutlicht, dass musikalische Ästhetik und Vortrag in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine Lebendigkeit und eine Vielfalt entwickelt haben, die uns gegenüber dem heute gewohnten einheitlichen Klangbild durchaus nachdenklich machen kann.
Das Projekt der Weimarer Flügel umfasste die
Dokumentation der Instrumente und archivalische Forschungen. Der
musikwissenschaftliche Teil wurde von Prof. Dr. Franz Körndle und PD Dr.
Erich Tremmel übernommen, die fotografische und zeichnerische
Dokumentation von Helmut Balk (hierzu auch:
http://www.musik-heute.de/2947/liszts-geheimnis/).
Die Ergebnisse dieses Projekts, das mit der Thüringer Landesausstellung 2011 "FRANZ LISZT - Ein Europäer in Weimar" abgeschlossen wurde, ist in mehrere Buchveröffentlichungen eingegangen:
Bilder der Mechanik des Érard-Flügels können die komplexe Anlage und präzise Ausführung der Arbeiten verdeutlichen.
Oben links die Zeichnung der Mechanik zu Erards (abgelehntem) Privilegsgesuch von 1807. Später wurden in Weimar die Schnäbel der Hammerachsen gestutzt, vermutlich um einen direkteren und beschleunigten Anschlag zu erreichen. Nachfolgend Beispiele einiger Klavierwerke, die der Großfürstin Maria Pavlovna gewidmet wurden (in Weimar, Anna Amalia Bibliothek). Die weiteren Aufnahmen zeigen mit hoher Präzision gefertigte einzelne Bauteile des Weimarer Flügels, aber auch die überarbeiteten Hammerschnäbel und einige der Schäden und Reparaturen, die das Instrument im Laufe der Zeit erfahren hat.
Mechanikteile des Nannette Streicher-Flügels von 1825
Die Herstellersignatur von Franz Liszts Boisselot-Flügel. Das Jahr 1844 ist nicht das Entstehungsjahr!
Eine technische Besonderheit dieses Flügels, die von Boisselot entwickelte Unterspreize, ein letztlich wenig taugliches Mittel, dem Saitenzug entgegenzuwirken.
Bei dem ältesten Hammerflügel der Klassik Stiftung Weimar, der vordem ohne Signatur anonym überliefert war, gelang bei einer endoskopischen Untersuchung der Fund einer handschriftlichen Bleistiftsignatur auf der Innenseite des Unterbodens, und damit die Identifizierung und Datierung als ein Instrument aus der Werkstatt des Stein-Schülers Johann Georg Schenck aus dem Jahr 1798.
Die vollständige Signatur (auf dem Bild der Nachname) lautet:
"Joh Georg Schenck / à / Weimar / 1798 / im Monath Julii"
Die Mechanik des Schenck-Flügels weist unbelederte Hämmer auf, ein bemerkenswerter und bei Flügeln sehr seltener Befund. Ob es sich hier um den Ursprungszustand oder eine spätere, und als solche sehr ungewöhnliche, Modifikation handelt, ist nicht völlig zweifelsfrei nachzuweisen. Abnutzungsspuren an den Oberflächen der Hammerköpfe zeigen, dass das Instrument in diesem Zustand zumindest zeitweise gespielt wurde.
Eine PowerPoint-Präsentation über die Dokumentation der Weimarer Instrumente:
© Greifenberger Institut für Musikinstrumentenkunde | info@gimk.org