Das Lautenclavier

Titelblatt zu BWV 996 (D-B Mus.ms. Bach P 801 Fasz. 22)
Titelblatt zu BWV 996 (D-B Mus.ms. Bach P 801 Fasz. 22)

Nicht nur die Harfe, auch die Laute wollte man per Klaviatur spielbar machen oder zumindest ihren Klang soweit nachahmen, dass ihre Literatur und ihr Klangcharakter auch den Tasteninstrumentalisten verfügbar wurde. Geschichte und Bedeutung dieses Instruments läßt sich am besten in vier Kapitel einteilen.

Kapitel I

Diese Idee faszinierte besonders die Musiker und Instrumentenbauer in der Region Thüringen und Sachsen während der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Zu diesen gehörte auch eine weitverzweigte Musikerfamilie, deren Namen heute jedem Musikliebhaber ein Begriff ist: die Familie Bach. Besonders ein Familienmitglied erlangte einen gewissen Ruhm für die von ihm verfertigten Lautenclaviere, Johann Nicolaus Bach (1669-1753), Organist in Jena.

Jacob Adlung, Organist in Erfurt, war von den Lautenclavieren seiner Zeit außerordentlich angetan:

"Das Lautenwerk ist das schönste unter den Clavieren nach der Orgel, und hat den Namen daher, weil es die Laute in dem Klange nachahmt, sowohl was die Höhe und Tiefe, als die Delicatesse betrif[f]t (Musica mechanica organoedi II, [posthum:] Berlin 1768, S. 133) ... Ich habe bis jetzt keine gesehen als die[, die] Herr J.N. Bach in Jena verfertiget hat, welche aber gewiß recht schön gerathen. Einige sind fast in Form eines Clavicymbels, und die Seyten sind hinterwärts gelegt. Und weil die Lautenseyten wol in der Dicke, nicht aber der Länge unterschieden sind, so ist es auch allhier; wenigstens trägt der Unterschied in der Länge soviel nicht aus, als bey dem Clavicymbel. Das übrige an dem corpore ist einerley, wie auch die Decke oder Sangboden, das Clavier, die Docken oder Tangenten, der Anschlag durch Rabenfedern, die Wirbel &c. Der Unterschied bestehet hauptsächlich in den Seyten und Stegen. Es müssen lauter Darmseyten seyn, sonst würde es keinen Lautenklang haben, und deren Länge muß die juste Proportion haben mit der Länge auf der Laute. (S. 135f.) ... Daher Herr J.N. Bach den besten Lautenisten betrogen hat, wenn er gespielet, und sein Lautenwerk nicht sehen lassen, daß man geschworen hätte, es sey eine ordentliche Laute. (S. 137)  ... Es hat ein solche Lautenwerk unbeschreibliche Mühe und Accuratesse vonnöthen, hingegen wird auch ein gut Stück Geld dafür bezahlt, wie ich mich denn besinne, daß Herr für eins mit 3 Clavieren (die aber nur von Buchsbaum und Ebenholz waren) 60 Reichsthaler bekommen. ...  Der Herr Johann Georg Gleichmann ... macht auch Lautenclaviere, welche forte, piano und pianissimo gespielt werden mögen ... Allein von dieser Arbeit habe ich nichts gesehen, weiß also nicht, ob sie der Bachischen gleich kömmt. (S. 138) "

Adlungs (hier um viele Details gekürzter) Bericht aus eigener Kenntnis der Instrumente von Johann Nicolaus Bach vermittelt etwas von der Faszination, die von diesen Instrumenten ausging.


Kapitel II

Und in einer Randnotiz ergänzte der Herausgeber von Adlungs Musica mechanica organoedi, Johann Lorenz Albrecht,  er "erinnert sich, ungefähr im Jahre 1740. in Leipzig ein von dem Herrn  Johann Sebastian Bach angegebenes, und von dem Hrn Zacharias Hildebrand ausgearbeitetes Lautenclavicymbel gesehet und gehöret zu haben, welches zwar eine kürzere Mensur als die ordentlichen Clavicymbel hatte, in allem übrigen aber wie ein anderes Clavicymbel beschaffen war. Es hatte zwey Chore Darmseyten, und ein sogenanntes Octävchen von mesingenen Seyten. Es ist wahr, in seiner eigentlichen Einrichtung klang es (wenn nur ein Zug gezogen war) mehr der Theorbe, als der Laute ähnlich. Aber, wenn der bei den Clavicymbeln sogenannte ... Lautenzug (der eben so wie auf den Clavicymbeln war), mit dem Cornetzuge gezogen war, so konnte man auch bey nahe Lautenisten von Profeßion damit betrügen. Herr Friederici hat auch auch dergleichen gemacht, doch mit einiger Veränderung. (S. 139)"

Das Lautenclavier im Haus des Thomaskantors Johann Sebastian Bach stammte also nicht von dem Jenenser Vetter, sondern von Zacharias Hildebrand und entsprach äußerlich einem "ordentlichen Clavicymbel", aber - wohl nicht zuletzt wegen des Bezugs mit Darmsaiten - mit kürzerer Mensur. Die Klangähnlichkeit mit der Theorbe dürfte nicht zuletzt dem größeren Tiefenumfang geschuldet gewesen sein.

Für dieses bzw. auf diesem Instrument dürften zumindest das Prelude BWV 998 "pour la Luth ò Cembal" und die Suite e-moll BWV 996 (laut einem nicht autographen Vermerk auf dem Titelblatt "aufs LautenWerck"; Ms. im Sammelband D-B Mus.ms. Bach P 801, S. 385; siehe oben), vermutlich aber auch zumindest einige der weiteren Lauten-, aber auch der sonstigen Clavierwerke Bachs komponiert worden sein. Bach selbst kannte zwar die instrumententypischen Stileigenheiten der Lautenmusik seiner Zeit, aber wohl nicht alle spieltechnischen Details des Instruments, obwohl die Familie selbst eine Laute besaß, und so dürften einige Eigenheiten der Bachschen Lautenkompositionen dadurch entstanden sein, dass er sie auf seinem Lautenclavier konzipiert hat. Auch die Niederschriften der Werke - nicht wie üblich in Tabulatur, sondern auf 2 Notensystemen wie für Tasteninstrument - weisen in diese Richtung.


Kapitel III

Was ist aus diesem Instrument geworden?

Bach besaß nicht nur das oben erwähnte Lautenclavier von Zacharias Hildebrandt, sondern sogar noch ein zweites. Dies offenbart das Nachlassverzeichnis (siehe auch hier auf der homepage des Bach-Archivs Leipzig). Dort sind insgesamt 5 "Clavecins" (Cembali), ein "Spinettgen" und zwei Lautenwerke aufgeführt, jedoch seltsamerweise keine Clavichorde. Die Streichinstrumente der Familie einschließlich mehrerer Bratschen, diverser Streichbässe, einer Gambe und einem Violino piccolo (vielleicht selbst ein Erbstück), erlaubte wohl nicht nur das Musizieren von Orchesterliteratur in der Familie, sondern auch das Aushelfen bei so mancher Aufführung, wo immer es an einzelnen Musikern und Instrumenten mangelte. Die Wertangaben zeigen die relative oder auch wohl punktuell eher geringere Wertschätzung des einen oder anderen Instruments, wie des erstgenannten Cembalos, das höher eingeschätzt wurde als beide Lautenwerke zusammen.


Cap. VI.

                                                                 An Instrumenten.

1. fournirt Claveçin, welches bey der Familie, so viel möglich bleiben soll    80      –             –

1. Clavesin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .     5        –             –

1. dito . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  50       –             –

1. dito . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   .  5        –             –

1. dito kleiner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   20         –             –

1. Lauten Werck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30         –             –

1. dito . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .30         –             –

1. Stainerische Violine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8         –             –

1. schlechtere Violine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2         –

1. dito Piccolo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1         8            –

1. Braccie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5         –            –

1. dito . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  5         –           –

1. dito . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .–       16           –

1. Bassettgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6        –            –

1. Violoncello . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .6        –            –

1. dito . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . –       16          –

1. Viola da Gamba . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .    3        –          –

1. Laute . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21      –           –

1. Spinettgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   3                     –

                                                                                                                          facit.    371.       16         –


Der Nachlass wurde unter den Familienmitgliedern, vor allem den Söhnen Wilhelm Friedemann und Carl Philipp Emanuel aufgeteilt, die Instrumente gingen an den jüngsten Sohn Johann Christian mit Ausnahme eines nicht näher spezifizierten Instruments aus dem Nachlass des Geigenmachers Johann Christian Hoffmann an Johann Christoph Friedrich.

Das Nachlassverzeichnis von Carl Philipp Emanuel Bach nennt keines der Instrumente aus väterlichem Besitz, die Nachlässe der anderen Söhne sind nicht dokumentiert; damit verliert sich jede Spur.

Kapitel IV

Im Vorfeld des Bach-Jubiläumsjahres 1985 entstand die Idee, Bachs Lautenklavier zu rekonstruieren. Konkrete Vorbildinstrumente existierten allerdings nicht, und so blieb nur die Interpretation der Informationen, die Adlung (und Albrecht) übermittelt hatten. Es bildeten sich zwei Konzepte der Rekonstruktionen nebeneinander:

Die eine unter der Annahme, der Instrumentenkorpus eines Lautenwerks müsse nach Lautenart bauchig aus Spänen gefügt werden und die Saitenlängen einer Laute übernommen werden, um ein Tasteninstrument von möglichst täuschend ähnlichem Klang zu erzeugen.

Die zweite folgte enger den Andeutungen Adlungs, die äußere Form entspreche dem Cembalo, die Lautenähnlichkeit werde durch Annäherung der Mensuren, Intonation und Berechnung der unterschiedlichen Anzupfpunkte (wie bei Johann Nicolaus Bach mit eigenen Springerreihen sehr nahe oder unterschiedlich weit entfernt vom Stimmstocksteg und jeweils eigenem Manual pro Springerreihe) erreicht.

So naheliegend diese Gedankengänge scheinen, so muss dennoch festgehalten werden, dass beide Ansätze hypothetisch sind und bleiben, solange nicht irgendwo und irgendwann ein originales Lautenklavier aufgefunden werden sollte. Bemerkenswert ist allenfalls, dass das Lautenklavier mit seinem Vorbildinstrument aus der musikalischen Praxis und dem öffentlichen Gedächtnis spurlos verschwindet und ohne die Assoziation mit Familie und Werk Bachs wohl allenfalls anekdotische Bedeutung besitzen würde.








 








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