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Övertorneå und Hedenäset (finn. Hietaniemi)

Övertorneå und Hedenäset (finn. Hietaniemi)

Erhaltungszustand:
Die ehemalige Orgel der Deutschen Kirche zu Stockholm ist in wesentlichen Teilen erhalten, die sich heute an zwei benachbarten Orten in Nordschweden an der Grenze zu Finnland befinden. Das reich verzierte Gehäuse des Oberwerks und Hauptwerks sind einschließlich erheblicher Teile des Pfeifenwerks in Övertorneå erhalten, das ebenso ausgeschmückte Rückpositiv steht mit nur wenigen originalen Registern in Hedenäset. Die erhaltenen Orgeln wurden dokumentiert und gleich zweimal rekonstruiert. Zwischen den Rekonstruktionsvorhaben wurde die Orgel in Övertorneå mit den bei der Dokumentation und Rekonstruktion gewonnenen Erkenntnissen behutsam restauriert.

 

Die Deutsche Kirche liegt mitten auf einer Insel, die wie ein Pfropfen den Mälarsee von der Ostsee trennt und die Altstadt ”Gamla Stan” Stockholms bildet.

Die deutsche Gemeinde bestand offiziell seit etwa Mitte des 16. Jahrhunderts – deutsche Kaufleute waren schon seit Hansezeiten und vorher ansässig – und erhielt aufgrund ihrer Größe 1571 das königliche Privileg, eine Kirche bauen zu lassen. 1576 jedoch wurde die Gemeinde zunächst Miteigentümer des ehemaligen Hauses der St. Gertrudsgilde, das von der finnischen Gemeinde als Sakralraum genutzt worden war, und das erst 1607 ganz in den Besitz der deutschen Gemeinde kam.
1613 wurde ein neuer Glockenturm errichtet (1878 durch Brand zerstört; 1881–84 Neubau) und wegen sich lange Zeit bemerkbar machenden Platzmangels ließ man das Gebäude von dem Baumeister Hans Jakob Kristler aus Straßburg 1638–1642 nach seinem Entwurf ausbauen. Für die nunmehr zweischiffige, spätgotische Hallenkirche wurde bis auf ein Epitaph auch das gesamte Interieur neu angefertigt.

Grundriß der Deutschen Kirche, Stockholm
1 Kirchturm
2 Südportal
3 Pfeiler
4 Kanzel
5 Königsloge
6 Altar
7 Taufkapelle
8 Empore
9 Heutige Plazierung der rekonstruierten Orgel
10 Plazierung der alten Orgel (und der heutigen Hauptorgel)

Lageplan der Deutschen Kirche, Stockholm
 

Die Geschichte der Orgel in Stockholm

Die ursprüngliche Orgel wurde 1608–09 von Paul Müller aus Spandau (II+P/21) über dem heutigen Westeingang gebaut, an der Stelle der heutigen Hauptorgel (Ziffer 10 im Lageplan). Größere Teile des Orgelgehäuses gehen auf diesen Bau zurück. Bereits 1621–22 entfernte der Orgelbauer Peer Johnsson (Jönsson) das Brustwerk und fügte stattdessen ein Rückpositiv hinzu. Außerdem wurde die Orgel durch Bilderwerk geschmückt, das Mårten Redtmer anfertigte – heute noch ist er vor allem durch die reichen Schnitzereien bekannt, mit denen er das Flaggschiff ”Vasa” versah.
1625 wurde Anders (Andreas) Düben Organist und schon 1625 schloß man erneut einen Kontrakt: Jürgen (George) Herman und Philipp Eysenmenger aus Rostock sollten die vorhandene Orgel völlig umbauen und auf II+P/26 erweitern. Sie erhielt einen Manualumfang CDE-c3 einschließlich geteilter Tasten (Subsemitonien) für es°/dis°, es1/dis1 und es2/dis2, zur Erweiterung der Möglichkeiten der mitteltönigen Temperatur sowie den Pedalumfang CDE-d1, ebenfalls mit es°/dis°.
Nach der Vergrößerung und dem Umbau der Kirche entstanden die neue Emporen, und 1648–1653 wurde die Orgel nochmals von G. Herman durch Hinzufügung eines Oberwerks erweitert (III+P/35).
Noch zum Ende der Amtstätigkeit Anders Dübens – er starb 1662 – kam es 1660–61 einer nicht genauer dokumentierten, jedoch offenbar größeren Arbeit Franz Bolls. Er war ein ehemaliger Mitarbeiter des 1655 verstorbenen G. Hermans, der auch 1674–76 nochmals an dem Instrument arbeitete.
Die Zeit der vielfachen Anpassungen und Erweiterungen war damit in der verbleibenden Zeit des Instruments in der Deutschen Kirche im Wesentlichen vorbei. Die Disposition ist uns aus dem Jahr 1684 durch A. Dübens Sohn und Nachfolger im Amt, Gustaf Düben, erhalten.

Der Umzug nach Nordschweden
Durch eine Donation erhielt die Deutsche Kirche 1774 die Möglichkeit, ihre alte Orgel durch eine neue zu ersetzen. Man schloss einen Kontrakt mit dem Orgelbauer Olof Schwan, der sich aber erst 1780–81 ans Werk (II+P/33) machen konnte.
Die alte Orgel wurde 1777 abgebaut und 1779 nach Övertorneå in Nordschweden verkauft. Oberwerk und Hauptwerk baute der Orgelbauer Mattias Swahlberg in der Kirche zu Övertorneå auf, während das Rückpositiv seinen Platz in der 18 km südlich gelegenen Kapelle des Dorfes Hedenäset (finnisch Hietaniemi) fand.
in Övertorneå fanden weiterhin nur geringere Änderungen statt, so dass ein größerer Anteil des originalen Werks erhalten blieb; in Hedenäset dagegen blieben außer dem prächtigen Gehäuse nur vier Register.

Zweimalige Rekonstruktion: Norrfjärden und Deutsche Kirche, Stockholm
Die Möglichkeit, einen Nachbau dieser Orgel wieder in ihrer ursprünglichen Kirche aufzustellen, ergab sich durch ein Forschungsprojekt, das die Musikhochschule Piteå /Technische Universität Luleå in Nordschweden 1991-1999 an der originalen Orgel in Övertorneå ("Övertorneåprojektet") durchführen konnten (Leitung Prof. Hans-Ola Ericsson, Piteå). 1997 wurde die ursprüngliche Orgel der Deutschen Kirche nach der Disposition von 1684 in der Kirche von Norrfjärden bei Piteå erstmals vollständig rekonstruiert und zwar einschließlich der Gehäuseausschmückung. Davon ließ sich der Kirchenvorstand der Deutschen Gemeinde anregen, die Rekonstruktion nun im ursprünglichen Raum erneut zu wagen. Da der ursprüngliche Platz der Orgel durch die heutige Hauptorgel (Ziffer 10 im Lageplan) besetzt ist, entschied man sich, die nochmals rekonstruierte Orgel auf der Empore über dem Südeingang aufzustellen.

Disposition

Disposition Gustaf Dübens am 28. November 1684
(zit. nach Transkription Axel Unnerbäck)
Kursiv – heute noch in Övertorneå erhaltene Register (zum Teil versetzt, daher erhebt die Angabe keinen Anspruch auf Vollständigkeit).

Im Mittelclavier im grossen werck
1. Principal auf 8 fuss
2. Quintadöne von 16 fuss
3. die grosse Spiel flöte auf 8 fuss [Boll 1661]
4. Gedacte von 8 fuss
5. Spielflöte auf 4 fuss
6. grosse Ocatve auf 4 fuss
7. Super octave auf 2 fuss doppelt von ungestrichenen c [c°] an
8. Quinta auf 3 fuss vom ungestrichenen C [c°]
9. Mixtur vierfach biss ins gestrichene c [c1] dernach 5 fach biss ins 3 gestrichene c [c3]
10. Schnarwerck auf 16 fuss [Boll 1676]
11. Trompete von 8 fuss [Boll 1676]


Im Ober wercke seint 7 stimmen
1. Gedact von 8 fuss thon verdeckt.
2. Rohrflöte 4 fuss thon
3. Quintadöhne 4 fuss
4. Octava von 2 fuss
5. Spitz quinte 1 ½ fuss thon
6. Cimbel Zwey fach
7. Regahl 8 fuss


Im untern Clawier Nembl[ich] Ruckpositieffe

1. Principal auf 4 fuss
2. Eine Rohrflöte von 8 fuss.
3. Eine Rohrflöte von 4 fuss
4. Super octave auf 2 fuss
5. Quinte von 1 ½ fuss [Boll 1661]
6. die Sexquealtra auf 2 fuss mit doppelten Pfeiffen [zweifach] [Boll 1661]
7. Repetierende Cimbel mit drei doppelten pfeiffen [dreifach]
8. Dulcian von 16 fuss [1647–51 oder Boll 1661]
9. Nacht Horn von 8 fuss
10. Regal von 4 fuss [Boll 1674]


Im pedahle befindet sich im obern wercke
1. Ein Sub Bass von 16 fuss
2. Ein gedachter Bass [Gedact] von 8 fuss
3. Octaven Bass auf 4 fuss [Boll 1674]
Im pedahle findet sich an schnarwercken hinden am wercke
4. Posaunen Bass auf 16 fuss
5. Trompeten Bass von 8 fuss [Boll 1674]
6. Dulcian Bass von 8 fuss
7. 7. Cornetten Bass von 8 fuss.

hierbey einen guten Tremulandt


Literatur
Lena Weman Ericsson (Hrsg.): Övertorneåprojektet. Om dokumentationen av orgeln i Övertorneå och rekonstruktionen av 1684 års orgel i Tyska kyrkan. Piteå, 1997.
Lena Weman Ericsson (Hrsg.): Övertorneåprojektet. Om restaureringen av orgeln i Övertorneå. Piteå, 1999.
Wolfgang Wallrich (Hrsg.): Die Düben-Orgel. Festschrift zur Einweihung – Stockholm 9. Mai 2004. Stockholm: Deutsche St. Gertruds Gemeinde Stockholm, 2004.

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