Die Wagner-Orgel von Berlin St. Marien hat ein wechselvolles, aber in mancher Hinsicht typisches Schicksal einer größeren Orgel des 18. Jahrhunderts, insbesondere in einer Stadt von der Größe und Bedeutung Berlins. Eine Kirchengemeinde, deren Finanzkraft schon im 18. Jahrhundert den Bau eines repräsentativen Orgelwerkes von 40 Registern ermöglichte, war nicht selten auch danach in der Lage, „ihrer“ Orgel all die manchmal auch eher zweifelhaften Segnungen des jeweiligen Fortschritts angedeihen zu lassen. Dies ist an Wagners Instrument geradezu exemplarisch zu verfolgen, angefangen von der auf damals neuesten, aber nur teilweise verstandenen Erkenntnissen der Akustik gegründeten „Simplifizierung“ nach den Empfehlungen von Abbé Vogler, weiter über die Romantisierung des Instruments im Verlauf des 19. Jahrhunderts zur massiven Kriegsbeschädigung 1945 bis hin zur Re-Barockisierung in mehreren Stufen unter Orientierung an unterschiedliche Vorbilder und Klangvorstellungen.
Die Simplifizierung nach Vogler zielte beispielsweise darauf, bestimmte, etwa besonders tiefe Töne mit sog. Differenz- und Kombinationstönen zu erzeugen, ein Konzept, das zwar theoretisch funktionierte, jedoch in der Praxis auf zahlreiche Komplikationen stieß und zudem nicht von allen Hörern gleichermaßen wahrgenommen wurde. Zudem wurde alles entfernt, was Vogler und seine Anhänger für überflüssig oder nicht genügend publikumswirksam erachteten – im Falle von Wagners Orgel bedeutete dies die Entfernung von drei Fünfteln des gesamten Pfeifenbestands, vor allem Aliquoten, und die Reduzierung auf nur noch 26 Register. Es ist kaum verwunderlich, dass das Instrument, das danach im Grunde genommen nur noch zum Spiel der (dazumal viel bestaunten) Orgelwerke Voglers geeignet war, im Alltagsgebrauch auf Ablehnung stieß.
Die Orgelromantik verlangte ihrerseits eine Vermehrung der Grundtonlagen (16’ und 8’) auf Kosten der hohen und gemischten Register sowie eine dynamische Differenzierung der einzelnen Werke. Hatte Voglers Simplifizierung die Reduzierung hoher Lagen zugunsten etwa von Quintreihen 102/3’ oder 51/3’ gefordert, entfernte man bei der Romantisierung hohe Register oder barocke Zungen zugunsten einer Vielzahl von unterschiedlichen 16’- und 8’-Registern unterschiedlicher Lautstärke. Zwar erhielt man die Möglichkeit, den Orgelklang – wie etwa in der Orgelmusik von Liszt bis Reger gefordert – vom kaum vernehmbaren pianissimo bis zum erschütternden fortissimo anschwellen zu lassen, doch die Wiedergabe eines barockes Choralvorspiels auf zwei Manualen gleicher Lautstärke war kaum noch möglich.
Bei den ersten Re-Barockisierungswellen im Zuge etwa der „Elsässer Orgelreform“ oder der „Orgelbewegung“ des 20. Jahrhunderts tat man dagegen oft des Guten zuviel: In der Annahme, etwa die norddeutsche Orgel Schnitgers stelle das Optimum für die Interpretation Bachscher Orgelwerke dar, wurden nicht selten landschaftstypische barocke Register, die nicht in dieses Konzept passten, etwa zugunsten einer Vielzahl von kräftigen Aliquotreihen entfernt, der Winddruck verändert, die Pfeifen umintoniert usw. Erst mit der genaueren Erforschung besonderer Eigenheiten bestimmter Orgelbautraditionen und –landschaften wurden oftmals in einer neuerlichen Restaurierung die individuellen Charakteristika einzelner Instrumente – wenn überhaupt noch möglich – wiederhergestellt.
Musikbeispiel:
Georg Boehm (1661-1733) : Partita "Auf meinen lieben Gott"
Gespielt von Ingo Duwensee
Ursprüngliche Disposition: III+P / 40
HW:
Bordun 16'
Pricipal 8'
Viol di Gamba 8'
Rohrflöte 8'
Octav 4'
Spitzflöte 4'
Quinte 3'
Octave 2'
Scharff:1 1/2' 5f.
Cimbel 1' 3f.
Cornet disc. 5f.
Trompete 8'
OW:
Quintadena 16'
Principal 8'
Gedackt 8'
Octave 4'
Fugara 4'
Nasat 3'
Octave 2'
Tertia 1 3/5'
Sifflöt 1'
Mixtur 1 1/3' 4f.
Vox humana 8'
HinterW:
Gedackt 8'
Quintadena 8'
Octave 4'
Rohrflöte 4'
Octave 2'
Waldflöte 2'
Quinte 1 1/2'
Echokornett Disc. 5f.
Cimbel 1' 3f.
P:
Principal 16'
Violon 16'
Gemshorn 8'
Quinte 6'
Octavbaß 4'
Mixtur 2' 6f.
Posaune 16'
Trompete 8'
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