Einführung: Süddeutschland, Westösterreich, Schweiz

Der Orgelbau zwischen den deutschen Mittelgebirgen im Norden und den Sprachgrenzen im Süden, Westen und Osten ist ebenso vielgestaltig wie die politischen Verhältnisse der Zeit vor 1800. Die sprichwörtliche Kleinstaaterei jener Zeit führte zu einer Zersplitterung, die sich nicht selten darin äußerte, dass etwa in Schwaben oder Franken von einem Dorf zum nächsten die Grundherrschaft (modern „Staatszugehörigkeit“) - und oft dazu noch das religiöse Bekenntnis - wechselte. In dieses Gemenge eingebettet lagen Freie Reichsstädte, die staatsrechtlich wie nach eigenem Selbstverständnis nur dem Kaiser unterstanden, manche von großer kultureller Bedeutung und sprichwörtlicher Wirtschaftsmacht, wie Frankfurt, Nürnberg, Augsburg oder Heilbronn, doch daneben auch solch kuriose Staatsgebilde wie die „Reichsdörfer“ Altdorf (bei Ravensburg) oder Gochsheim (bei Schweinfurt).
Zahlreich waren auch die geistlichen Territorien, in denen ein Bischof oder ein Abt eines Klosters sowohl die weltliche als auch die geistliche Herrschaft ausübten. Größere Staaten bildeten allein Baiern und vor allem Österreich, dem vor 1800 weit verstreut viele kleinere unzusammenhängende Territorien im heutigen Süddeutschland angehörten. Dies läßt eine der äußeren Ursachen für eine große Vielfalt der Orgelbaustile im deutschsprachigen Süden erkennen.

Diese regionalen Orgelstile richteten sich meist weniger an den politischen Grenzen jener Zeit aus als an den (über die Jahrhunderte weitaus beständigeren) Bistumsgrenzen. So bildete sich etwa im alten Fürstbistum Mainz ebenso ein Orgelbaustil mit eigenen Charakteristika aus wie etwa ein mainfränkischer Stil im Fürstbistum Würzburg, ein spezifisch oberschwäbischer Stil im Bereich der Bistümer Konstanz und Augsburg oder ein altbairischer Stil in den Bistümern Freising, Regensburg, Passau und Salzburg. Diese Phänomene überschnitten sich mit anderen Großräumen wie Altösterreich, das damals Böhmen und Schlesien mit umfaßte.
Die Orgeln in den Bistümern innerhalb der Alpen wie Brixen und Chur erweisen sich wiederum eng verbunden mit denen der ohnehin über die heutigen Grenzen in die Alpen hineinreichenden Nachbarbistümer nördlich des Bodensees. Entlang des Rheins bildete sich sowohl westlich im Elsaß als auch östlich in Vorderösterreich und Baden eine zusammengehörige Stilregion heraus, die deutlich die Nähe zu Frankreich erkennen lässt.

Die Unterschiede zwischen diesen vielen kleineren Orgelbaulandschaften erweisen sich in Einzelheiten der Prospektgestaltung, der Vorlieben für bestimmte Register und verschiedenen individuellen Bauarten, dem Bau von Rückpositiven oder nicht, oder der Gestaltung von speziellen „Farbwerken.“ Für ihre Zeit enorm fortschrittliche Experimente mit freistehenden Spieltischen und anderen Konstruktionen mit immensem technischem Aufwand stehen nicht selten Althergebrachtem und anderswo Veraltetem gegenüber, etwa dem häufigen Beharren an den kurzen Oktaven im Baß.

Doch genauso gibt es einige mehr oder minder allen Landschaften gemeinsame Elemente, die der süddeutschen Barockorgel einen besonderen Charakter verleihen: eine gewisse Eleganz, aber auch Extravaganz, und Individualität der Instrumente und ihrer Erbauer und eine Vorliebe für Orgeln mit vielfältigen Klangpaletten selbst bei sehr kleinen Instrumenten. Die musikalische Ausrichtung einerseits auf Improvisation und andererseits auf Begleitung von Gemeindegesang wie auch Orchester und Chor förderte dies noch mehr. Denn all diese vielfältigen Anforderungen wurden mit Orgeln mit vielleicht nur 10 oder 15 Registern erfüllt. Süddeutschland ist wie kaum eine andere Orgellandschaft bestimmt von Instrumenten, die anderswo als Kleinorgeln gegolten hätten, mit einem Manual und angehängtem Pedal, das allenfalls ein einzelnes 16'- Register besaß. Doch in diesen Instrumenten mußte jedes Register innerhalb des Werkaufbaus besonders charaktervoll intoniert werden und sowohl solistisch wie in allen denkbaren Kombinationen mit anderen Registern verwendbar sein – eine besondere Herausforderung an die Orgelbauer, die geradezu getrieben wurden von der Suche nach dem Ungewöhnlichen und Nachahmenswerten. Viele Orgelbauer jener Zeit scheinen geradezu leidenschaftliche Grenzgänger gewesen zu sein, die Stilelemente von hier nach da verpflanzten, sich gegenseitig besuchten, begutachteten, kopierten und auch wohl gelegentlich anfeindeten. Die Hereinnahme italienischer oder französischer Stilelemente und ihre Amalgamierung mit eigenen Besonderheiten ist geradezu ein Kennzeichen vor allem der damals spektakulären Orgelbauvorhaben, wie etwa der Görlitzer „Sonnenorgel“, der Hauptorgel im Salzburger Dom oder der Orgel der Augsburger Barfüßerkirche.

Diese und andere orgelbauerischen Großprojekte jener Epoche ragen auch aus ihrer eigenen stilistischen Umgebung heraus. Noch erhaltene Instrumente wie die Hauptorgeln in Weingarten oder Zwettl oder die Ottobeurer Chororgeln verbindet eine Manifestation des Einzigartigen und für sich Unverwechselbaren, manchmal auch des scheinbar technisch Unmöglichen. Dies erhebt sie nicht nur für sich, sondern auch vor dem Hintergrund der gesamten Orgelgeschichte zu staunenswerten Zeugnissen der Phantasie, aber auch der Meisterschaft ihrer Erbauer.

Hausorgel in Toggenburg 
Hausorgel in Toggenburg
Emmentaler Hausorgel
Emmentaler Hausorgel

Schweizer Hausorgeln

Kleinorgeln konnten einer Vielzahl von Zwecken dienen, etwa als Generalbassinstrumente oder als (tragbare) Prozessionsorgeln. In einigen Regionen Europas bildeten sich jedoch eigenständige Kleinorgeltypen zum Gebrauch in Privathäusern heraus. Schwerpunkte bildeten dabei die Niederlande und die Innerschweiz, beides Regionen mit einem hohen Bevölkerungsanteil reformierten Bekenntnisses. Dort spielte die Orgel in der kirchlichen Liturgie nur eine geringe, manchmal überhaupt keine Rolle, getreu der ablehnenden Haltung der Reformatoren Zwingli und Calvin gegenüber „des Teufels Sackpfeife“. In wohlhabenden Bürger- und Bauernhäusern galt eine Hausorgel dagegen durchaus als attraktives Statussymbol und wurde als Begleitinstrument zu häuslicher Andacht, aber auch als Tasteninstrument per se und als Generalbassinstrument für Ensemblemusik geschätzt.

Kennzeichen solcher Hausorgeln waren einerseits die etwas zurückhaltende klangliche Disposition mit reduzierter Klangkrone hoher Pfeifenreihen, dafür mehrfacher 8’-Besetzung, um für Begleitzwecke auch dynamisch gewisse Wahlmöglichkeiten zu bieten; andererseits häufig geteilte Schleifen für Diskant und Baß (v.a. in den Niederlanden), um die Klangbereiche der beiden Hände unterschiedlich registrieren zu können.

Diese Instrumente besitzen in der Regel ein Manual und zwischen drei und sechs, seltener bis zu zehn Register, deren Zusammenstellung erkennen lässt, dass es sich hierbei um Orgeltypen mit jeweils eigenen charakteristischen Merkmalen handelt. Selbst die Prospektgestaltung dieser Hausorgeln ist – mit regionalen Besonderheiten – typisch und nicht Stilmerkmal bestimmter Orgelbauer. Es handelt sich in der Regel um Instrumente mit einer Höhe und Breite von etwa zwei und einer Tiefe von etwa anderthalb Metern zum Gebrauch in Wohnstuben, aber auch in Schulen. Sie dienten offenbar als Begleit- und Soloinstrument zu weltlicher Musik ebenso wie zu häuslichen Andachten.

Die Innerschweizer Hausorgel lässt sich anhand der Prospektgestaltung und Herkunftsregion (vor allem Sankt Gallen/Toggenburg, Bern/Emmental, wenige auch aus den Kantonen Appenzell, Zürich u.a.) unterscheiden: Bei der Toggenburger Form der Hausorgel stehen die Pfeifenfüße auf einer horizontalen Ebene und die Labien bilden eine durchgehende Linie. Die Oberkante der Orgel verläuft daher zwangsläufig (infolge der unterschiedlichen Pfeifenlängen) ungleich und wird daher im Stile der Kirchenorgel architektonisch (Giebel, Sprenggiebel und dergleichen) gestaltet. Die Gehäuse besitzen oft Flügeltüren und sind in der Regel bemalt. Das Notenpult des Organisten steht vor den mittleren Pfeifen und verdeckt sie teilweise. Die Emmentaler Hausorgel besitzt dagegen eine große und relativ schlichte Schrankform mit durchgehender Oberkante; die unterschiedlichen Längen der Prospektpfeifen führen dabei dazu, dass die Pfeifenfüße auf schräge Pfeifenstöcke gestellt werden, die tiefsten Pfeifen außen, die höheren in die Mitte. Da die mittleren Pfeifen mit einigem Abstand oberhalb der Klaviatur zu stehen kamen, konnte das Notenpult oft so angebracht werden, dass die Pfeifen dadurch nicht verdeckt wurden.

Siehe auch Artikel zu Niederländischen Hausorgeln

 

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